Hoffnung auf bessere Batterien – Forscher verfolgen live das Laden und Entladen von Silizium-Elektroden
Silizium als Werkstoff für Elektroden in Lithium-Ionen-Batterien verspricht eine deutliche Steigerung von deren Kapazität. Das Manko dieses Materials: Durch die Belastung beim Be- und Entladen wird es leicht beschädigt. Wissenschaftlern am Helmholtz-Zentrum Berlin für Materialien und Energie (HZB) ist es nun zum ersten Mal gelungen, diesen Prozess direkt und detailliert an kristallinen Silizium-Elektroden zu beobachten. Operando-Experimente am Speicherring BESSY II lieferten neue Erkenntnisse darüber, wie Brüche im Silizium entstehen – und wie sich das Material dennoch vorteilhaft einsetzen lässt.
Ob Smartphones oder Elektroautos: Wo elektrischer Strom mobil verfügbar sein soll, stammt er meist aus wiederaufladbaren Lithium-Ionen-Batterien. Eine der beiden Elektroden darin besteht aus Graphit, in dem zum Speichern von Energie Lithium-Ionen eingelagert werden. Der Nachteil des Kohlenstoff-Materials: Seine Kapazität ist recht gering – was ein häufiges Aufladen der Batterie erforderlich macht. Daher suchen Forscher weltweit nach alternativen Elektroden-Werkstoffen für Batterien mit längeren Ladezyklen.
Silizium pusht die Speicherkapazität
Ein aussichtsreicher Kandidat ist Silizium. Denn es kann mehr als zehnmal so viel Ionen aufnehmen wie Graphit. „Zudem ist Silizium eines der häufigsten Elemente in der Erdkruste und in fast unerschöpflicher Menge verfügbar“, sagt Dr. Sebastian Risse, der sich am HZB mit der Analyse von Speicherwerkstoffen beschäftigt. Einige Batteriehersteller nutzen bereits kleine Silizium-Partikel, um die energetische Speicherfähigkeit von Graphit-Elektroden zu verbessern. Doch dieser Trick hat Grenzen. „Beim Einlagern von Lithium-Ionen bläht sich das Silizium auf ein Vielfaches seiner normalen Größe auf“, erläutert Risse. Die Folge: Das Material wird allmählich brüchig.
Was dabei in dem Werkstoff vor sich geht, hat ein Forscherteam am HZB um Sebastian Risse nun erstmals detailliert und in hoher Auflösung an Elektroden aus kristallinem Silizium untersucht – und die physikalischen Vorgänge beim Laden und Entladen wie in einem Film live verfolgt. Die Grundlage dafür bildet die multidimensionale Operando-Analyse – eine Technik, die die Berliner Forscher in den letzten Jahren entwickelt haben. „Mit ihr können wir verschiedene Eigenschaften gleichzeitig messen und somit Veränderungen in der Gestalt des Materials verfolgen – und das, während die Batterie auf übliche Weise betrieben wird“, sagt Risse.
Batteriebetrieb im kohärenten Röntgenlicht
Neben elektrischen Messungen und Aufnahmen mit einem Elektronenmikroskop setzten die Berliner Forscher auf die Methode des Phasenkontrast-Imaging. „Sie nutzt einen kohärenten Röntgenstrahl, wie ihn nur ein Synchrotron liefern kann“, betont Sebastian Risse. Der Physiker und seine Kollegen verwendeten für ihre Experimente Röntgenlicht aus dem Synchrotron-Speicherring BESSY II des HZB. Damit nahmen sie eine Elektrode aus kristallinem Silizium ins Visier, während diese etliche Lade- und Entladezyklen durchlief. In der kohärenten Röntgenstrahlung – bei der alle Wellen des Röntgenlichts im Gleichtakt schwingen – führen Feinheiten der Materialstruktur zu charakteristischen Phasenverschiebungen. „So lassen sich wesentlich mehr Details beobachten als bei einer Analyse mit normalem Röntgenlicht“, sagt Risse. Das dafür notwendige Know-how steuerte Dr. Ingo Manke bei, der am HZB-Institut für Angewandte Materialforschung die Fachgruppe Bildgebende Verfahren leitet.
Die Ergebnisse des hoch aufgelösten Operando-Imaging kristalliner Silizium-Elektroden liefern neue Einblicke in das vielversprechende System. So konnten die Forscher zeigen, dass beim Laden und Entladen ein schachbrettartiges Bruchmuster entsteht und wieder verschwindet. „Zwar werden die Brüche bei jedem Entladen etwas größer, doch das Muster bleibt erhalten“, berichtet Risse. „Neue Brüche entstehen nicht.“
Das ist eine gute Nachricht für die Verwendung von Silizium in Batterien. Zusätzliche Hoffnung gibt eine weitere Entdeckung. So erfolgt das Einlagern von Lithium-Ionen ins Kristallgitter des Siliziums in zwei Schritten: Zunächst formt sich eine schwach mit Lithium beladene Phase, danach eine zweite, an Lithium reiche. Beim Entladen verläuft der Prozess umgekehrt. Die Berliner Forscher fanden nun heraus, dass das Material dabei erst im zweiten Schritt bricht, wenn auch die lithiumarme Phase entladen wird.
Das Fundament für ausdauernde Stromspender
„Wenn man stets nur einen Teil des Siliziums zum Speichern von Ionen verwenden würde, ließen sich die makroskopischen Beschädigungen des Materials vermeiden“, folgert Sebastian Risse. Und obwohl sie nicht die volle Speicherkapazität ausschöpfen würden, könnten Lithium-Ionen-Batterien mit Elektroden aus Silizium im Vergleich zu solchen aus Graphit viel mehr Energie aufnehmen. Handys müssten dann seltener an die Steckdose, Elektroautos könnten mit einer Batteriefüllung weitere Strecken zurücklegen. „Bis dahin ist es noch ein weiter Weg“, meint HZB-Physiker Risse. Doch das wissenschaftliche Fundament dafür ist nun gelegt.
Die Arbeit wurde im Journal Energy Storage Materials veröffentlicht: „Morphological evolution of a single crystal silicon battery electrode during lithiation and delithiation: An operando phase-contrast imaging study“. Arne Ronneburg, Markus Osenberg, Kang Dong, André Hilger, Eneli Härk, Luca Silvi, Ingo Manke, Matthias Ballauff, Sebastian Risse.
DOI: 10.1016/j.ensm.2020.06.007