Unkonventionelle Piezoelektrizität in ferroelektrischem Hafnium

Der Effekt: Wenn E-Feld und Polarisation parallel sind, bedeutet ein positives d33, dass sich die Probe ausdehnt. Wird d33 negativ, zieht sich die Probe zusammen.

Der Effekt: Wenn E-Feld und Polarisation parallel sind, bedeutet ein positives d33, dass sich die Probe ausdehnt. Wird d33 negativ, zieht sich die Probe zusammen. © Laura Canil

PFM-Messung eines W/HZO/W-Kondensators. Die unberührte Probe (links) besitzt einen positiven piezoelektrischen Koeffizienten (d33-Wert). Nach mehr als 8000 AC-Zyklen verändert der piezoelektrische Koeffizient sein Vorzeichen und wird negative (rechts). Die Polarisation zeigt in beiden Bildern nach unten. 

PFM-Messung eines W/HZO/W-Kondensators. Die unberührte Probe (links) besitzt einen positiven piezoelektrischen Koeffizienten (d33-Wert). Nach mehr als 8000 AC-Zyklen verändert der piezoelektrische Koeffizient sein Vorzeichen und wird negative (rechts). Die Polarisation zeigt in beiden Bildern nach unten.  © HZB

Hafniumoxid-Dünnschichten sind eine faszinierende Klasse von Materialien mit robusten ferroelektrischen Eigenschaften im Nanometerbereich. Während das ferroelektrische Verhalten ausgiebig untersucht wurde, blieben die Ergebnisse zu den piezoelektrischen Effekten bisher rätselhaft. Eine neue Studie zeigt nun, dass die Piezoelektrizität in ferroelektrischen Hf0,5Zr0,5O2-Dünnschichten durch zyklische elektrische Felder dynamisch verändert werden kann. Ein weiteres bahnbrechendes Ergebnis ist die Möglichkeit einer intrinsischen nicht-piezoelektrischen ferroelektrischen Verbindung. Diese unkonventionellen Eigenschaften von Hafnia bieten neue Optionen für den Einsatz in der Mikroelektronik und Informationstechnologie.

Seit 2011 ist bekannt, dass bestimmte Hafniumoxide ferroelektrisch sind: Sie besitzen eine spontane elektrische Polarisation, deren Richtung durch ein äußeres elektrisches Feld umgeschaltet werden kann. Alle Ferroelektrika weisen Piezoelektrizität mit einem meistens positiven longitudinalen piezoelektrischen Koeffizienten (d33) auf: Dabei dehnt sich der Kristall aus, wenn das angelegte Feld in die gleiche Richtung wie die Polarisation weist. Für Hafnia kamen Studien jedoch auf widersprüchliche Ergebnisse, nach denen sich Hafnia-Filme unter denselben Versuchsbedingungen mal ausdehnen und mal zusammenziehen. Darüber hinaus kann die ferroelektrische Polarisation offenbar gegen das elektrische Feld schalten, was als "anomales“ Schalten bezeichnet wird.

Lokale piezoelektrische Antwort gemessen

Eine internationale Kollaboration unter der Leitung von Prof. Dr. Catherine Dubourdieu, HZB, hat nun erstmals einige Aspekte dieser rätselhaften Ergebnisse aufgeklärt und ein unkonventionelles Verhalten in Hafnia entdeckt. Sie untersuchten Hf0,5Zr0,5O2 (HZO)-Kondensatoren mit Hilfe der Piezokraftmikroskopie (PFM): Eine leitende Nadel tastet dabei die Probenoberfläche unter einer geringen elektrischen Spannung ab und misst die lokale piezoelektrische Antwort.

Elektrische Stimuli schalten Piezoelektrizät um

Die Studie zeigte, dass die Piezoelektrizität in HZO kein unveränderlicher Parameter ist, sondern sich durch einen externen Stimulus, wie z. B. elektrische Zyklen, ändern kann. Die ferroelektrischen HZO-Kondensatoren kehren das Vorzeichen des piezoelektrischen d33-Koeffizienten beim Wechsel des elektrischen Feldes um, von positiv zu negativ. Jede einzelne Stelle des ferroelektrischen Kondensators erfährt eine solche Änderung und geht dabei nach einer angemessenen Anzahl von Wechselstromzyklen durch eine lokale Piezoelektrizität von Null.

Neue Möglichkeiten: Ferroelektrische Materialien ohne piezoelektrische Eigenschaften

Berechnungen nach der Dichtefunktionaltheorie (DFT) deuten darauf hin, dass der positive d33-Wert im Ausgangszustand auf eine metastabile polare orthorhombische Phase zurückzuführen ist, die sich unter Wechselstromzyklen allmählich zu einer stabilen polaren Phase mit negativem d33 entwickelt. Die DFT-Berechnungen legen nicht nur einen Mechanismus für die d33-Vorzeichenumkehr nahe, sondern sagen auch ein bahnbrechendes Ergebnis voraus: Das mögliche Auftreten einer intrinsischen nicht-piezoelektrischen ferroelektrischen Verbindung, die experimentell beobachtet werden kann.

Potenzial für Anwendungen

„Zum ersten Mal konnten wir experimentell eine Vorzeichenumkehr des piezoelektrischen Effekts im gesamten Bereich eines Kondensators in diesen Hafnia-Zirkoniumdioxid-Ferroelektrika unter einem elektrischen Wechselfeld beobachten“ sagt Catherine Dubourdieu. Diese Entdeckung birgt ein enormes Potenzial für technologische Anwendungen. „Da die Piezoelektrizität in diesen Materialien dynamisch verändert werden und sogar aufgehoben werden kann, während die Polarisation robust bleibt, sehen wir fantastische Optionen für die Entwicklung von ferroelektrischen HfO2-basierten Bauelementen mit elektromechanischen Funktionalitäten. Darüber hinaus würde Möglichkeit einer nicht-piezoelektrischen ferroelektrischen Verbindung unsere Vorstellung von Ferroelektrizität revolutionieren", so Catherine Dubourdieu.

arö


Das könnte Sie auch interessieren

  • Neue Option, um Eigenschaften von Seltenerd-Elementen zu kontrollieren
    Science Highlight
    17.07.2024
    Neue Option, um Eigenschaften von Seltenerd-Elementen zu kontrollieren
    Die besonderen Eigenschaften von magnetischen Materialien aus der Gruppe der Seltenen Erden gehen auf Elektronen in der 4f-Schale zurück. Bislang galten die magnetischen Eigenschaften der 4f-Elektronen als kaum kontrollierbar. Nun hat ein Team von HZB, der Freien Universität Berlin und weiteren Einrichtungen erstmals gezeigt, dass durch Laserpulse 4f-Elektronen beeinflusst – und damit deren magnetische Eigenschaften verändert werden können. Die Entdeckung, die durch Experimente am EuXFEL und FLASH gelang, weist einen neuen Weg zu Datenspeichern mit Seltenen Erden.
  • BESSY II zeigt, wie sich Feststoffbatterien zersetzen
    Science Highlight
    09.07.2024
    BESSY II zeigt, wie sich Feststoffbatterien zersetzen
    Feststoffbatterien können mehr Energie speichern und sind sicherer als Batterien mit flüssigen Elektrolyten. Allerdings halten sie nicht so lange und ihre Kapazität nimmt mit jedem Ladezyklus ab. Doch das muss nicht so bleiben: Forscherinnen und Forscher sind den Ursachen bereits auf der Spur. In der Fachzeitschrift ACS Energy Letters stellt ein Team des HZB und der Justus-Liebig-Universität Gießen eine neue Methode vor, um elektrochemische Reaktionen während des Betriebs einer Feststoffbatterie mit Photoelektronenspektroskopie an BESSY II genau zu verfolgen. Die Ergebnisse helfen, Batteriematerialien und -design zu verbessern.

  • HZB-Magazin lichtblick - die neue Ausgabe ist da!
    Nachricht
    09.07.2024
    HZB-Magazin lichtblick - die neue Ausgabe ist da!
    Auf der Suche nach dem perfekten Katalysator bekommt HZB-Forscher Robert Seidel nun Rückenwind – durch einen hochkarätigen ERC Consolidator Grant. In der Titelgeschichte stellen wir vor, warum die Röntgenquelle BESSY II für sein Vorhaben eine wichtige Rolle spielt.