Physik-Nobelpreis: Arbeiten aus Berlin trugen zum Nachweis der theoretischen Vorhersagen bei – Forschung heute

Prof. Dr. Michael Steiner

Prof. Dr. Michael Steiner

Mit der Messung von Quanteneffekten in neue Bereiche der Physik vorstoßen

Physik-Nobelpreis zeigt enge Verflechtung von theoretischen Vorhersagen und experimentellem Nachweis an wissenschaftlichen Großgeräten. Berliner Forscher erinnert sich an aufregende Experimente zu einem neu aufkommenden Themengebiet

Das Helmholtz-Zentrum Berlin (HZB) und das in Grenoble ansässige Institut Laue-Langevin (ILL) für die Forschung mit Neutronen freuen sich in diesem Jahr gemeinsam über den diesjährigen Nobelpreis für Physik, der gemeinsam mit den anderen Nobelpreisen am 10. Dezember in Stockholm verliehen wird.

„Die Entscheidung des Nobelpreis-Komitees würdigt die Entwicklung eines der spannendsten Themengebiete der Festkörperphysik, das durch theoretische Arbeiten wie die von David Thouless sowie Duncan Haldane und Michael Kosterlitz entscheidend vorangebracht wurde“, sagt Prof. Anke Kaysser-Pyzalla, wissenschaftliche Geschäftsführerin des HZB. „Wir gratulieren ihnen herzlich zu dieser Ehrung. Zugleich sind wir sehr stolz darauf, dass auch das HZB in seiner langjährigen Tradition Beiträge zu exotischen Quanteneigenschaften geliefert hat, die letztlich mit zum experimentellen Nachweis der von Haldane getätigten theoretischen Vorhersagen führten.“

Berliner Forscherinnen und Forscher hatten im Rahmen ihrer langen und erfolgreichen Zusammenarbeit mit dem ILL von 1985 bis 1995 gemeinsam an Cäsium-Nickel-Chlorid (CsNiCl3) - Kristallen  gearbeitet. Prof. Michael Steiner, von 1998 bis 2009 Geschäftsführer des HZB (damals Hahn-Meitner-Institut, HMI) hatte als HMI-Wissenschaftler am ILL die Spindynamik in einem solchen Kristall untersucht. Ziel war, eine von Haldane 1983 veröffentlichte neuartige Quantenphase in diesem System nachzuweisen. Michael Steiners Experimente sollten direkt die von Haldane vorhergesagte isotrope Spin-Anregung oberhalb einer Energielücke nachweisen. Die Experimente erforderten Instrumente, die damals nur am ILL in dieser Qualität vorhanden waren. Eine Energielücke wurde schließlich gefunden, aber erst weitere Experimente konnten ab 1990 in Kooperation mit Steiners damaliger Doktorandin Mechthild Enderle und dem japanischen Physiker Kazuhisa Kakurai experimentell nachweisen, dass die von Haldane vorhergesagte Haldane-Phase im 1-dimensionalen Antiferromagneten CsNiCl3 tatsächlich existiert.

Das Nobelpreiskomitee hat diese Arbeiten in seiner Erläuterung zum wissenschaftlichen Hintergrund des Nobelpreises zitiert und betont, dass sie wesentlich zum Verständnis der Haldane-Phase in antiferromagnetisch gekoppelten Spinketten beigetragen hätten. Sie zeigten, dass sich in solchen Spinketten ein makroskopischer Quantenzustand ausbildet, in dem die Spins innerhalb der Kette eine neuartige komplexe dynamische Struktur bilden.

Die Forschungen der Preisträger damals haben dem heute aktuellen Gebiet der topologischen Phasen und Phasenübergänge die theoretischen Konzepte geliefert. Heute haben sich bereits Anwendungsmöglichkeiten entwickelt, wie etwa die Erforschung von topologischen Isolatoren. Das sind Stoffe, die an der Oberfläche sehr stabil elektrischen Strom leiten, im Inneren jedoch als Isolatoren wirken. Sie spielen eine wichtige Rolle bei der Entwicklung von Materialien für eine energieeffiziente Informationstechnologie.

Am HZB forschen heute Professor Oliver Rader und seine „Abteilung für grüne Spintronik“ zu diesem Thema. Oliver Rader koordiniert zudem ein DFG-Schwerpunktprogramm zu topologischen Isolatoren. Außerdem arbeitet Professorin Bella Lake mit ihrer „Abteilung Quantenphänomene in neuen Materialien“ an der Erklärung und dem Nachweis neuer Quantenphasen, wie sie heute im Zentrum des Interesses der Festkörperphysik stehen.

Michael Steiner erinnert sich an die Anfänge dieser Entwicklung, als die Vielteilchenphysik Ende der 1980er Jahre einen regelrechten Neustart hinlegte: „Die aufkommenden neuen Konzepte zur theoretischen Beschreibung von Quanteneffekten wie die von Haldane postulierte Haldane-Phase waren in aller Munde und man suchte nach Möglichkeiten, ihre Existenz zu beweisen.“

Als dann am ILL neue hocheffiziente Instrumente für die Neutronenstreuung zur Verfügung standen, hatte man schließlich die entscheidenden experimentellen Möglichkeiten, um Quantengrundzustände an magnetischen Modellsystemen im Detail zu untersuchen. 

„Antiferromagnetismus ist ohne Quanteneffekte nicht zu beschreiben“, sagt Prof. Michael Steiner. „Dass wir mit unseren Großgeräten wie Neutronen- und Synchrotronquellen solche Quanteneffekte untersuchen können, lässt uns in neue Bereiche der Physik vorstoßen. Es ist schön, dass die grundlegenden theoretischen Arbeiten dazu mit dem Nobelpreis gewürdigt werden.“

IH

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