„Forschung und Entwicklung ist auch in Kriegszeiten entscheidend!“
Bernd Rech, wissenschaftlicher Geschäftsführer am Helmholtz-Zentrum Berlin für Materialien und Energie. © HZB / D. Ausserhofer
Das Side Event "Forschung und Entwicklung für einen nachhaltigen Wiederaufbau: Die Beispiele Energie und Landwirtschaft" wurde von der Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen organisiert. © HZB/M. Setzpfandt
Bernd Rech (rechts) überreichte im Namen der Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen das Dokument "Forschung und Entwicklung für einen nachhaltigen Wiederaufbau: Key Recommendations and Intended Actions" an Bettina Stark Watzinger, Bundesministerin für Bildung und Wissenschaft (rechts) und Yevhen Kudriavets, Erster Stellvertretender Minister für Bildung und Wissenschaft der Ukraine (links).
Links Milena Komar, Direktorin der Kyiv School of Energy Policy. © HZB/M. Setzpfandt
Am 11. und 12. Juni fand die Ukraine Recovery Conference in Berlin statt. Begleitend diskutierten Vertreter*innen von Helmholtz, Fraunhofer und Leibniz, wie Forschung zu einem nachhaltigen Wiederaufbau der Ukraine beitragen kann. In diesem Interview spricht Bernd Rech, wissenschaftlicher Geschäftsführer am HZB, über die Bedeutung von Forschung während des Krieges und Projekten wie Green Deal Ukraina.
Wie kann Forschung zum Wiederaufbau der Ukraine beitragen?
Sie kann sehr viel beitragen. Die EU hat die Ukraine in ihren Forschungsraum aufgenommen und das Land ist Teil vom europäischen Forschungsprogramm Horizon Europe. Die Bundesrepublik Deutschland und die Ukraine haben den Vertrag über wissenschaftliche Zusammenarbeit, der seit 30 Jahren besteht, mit neuem Inhalt gefüllt und werden ihn im Oktober in Kyiv feierlich unterzeichnen. Darin enthalten sind vier sogenannte Cluster of Excellence zwischen Partner-Einrichtungen in der Ukraine und in Deutschland. Wir meinen, dass es weitere solcher Cluster braucht, in denen die Zusammenarbeit besonders vertieft werden sollte – konkret im Bereich Energiesystemanalyse und Stromsystem, im Bereich resilienter lokaler Energie-Lösungen sowie bei Fortbildungen. Die Ukraine ist sehr offen und auch innovativ mit einer sehr langen Forschungstradition. Europäische Experten loben immer wieder, dass es dem Übertragungsnetzbetreiber Ukrenergo gelingt, trotz der derzeitigen widrigsten Bedingungen die Stromversorgung aufrechtzuerhalten.
In welchen Bereichen sind Forschungskooperationen in der aktuellen Situation besonders vielversprechend?
Aus traurigen Gründen sind natürlich Kooperationen, die sich dem unmittelbaren Morgen, dem unmittelbaren Bedarf widmen, von vordringlicher Bedeutung. Nehmen wir das Beispiel Strom: In der Ukraine muss der Strom immer wieder großflächig abgeschaltet werden und man muss immer mit Blackouts rechnen. Da werden dezentrale aber auch regionale Lösungen gebraucht. Genau hier setzt Helmholtz gemeinsam mit anderen Partnern aus dem In- und Ausland an. Im Bereich Energie und Klima kann Forschung entscheidend zur Verbesserung der Versorgungssicherheit in der Ukraine beitragen. Wir am Helmholtz-Zentrum Berlin sind im Bereich Solar, Batterien, Wasserstoff und Systemlösungen ja stark und deshalb ein guter Partner. Ein Beispiel für eine solche Zusammenarbeit ist das Projekt „Green Deal Ukraina“.
Worum geht es bei dem Projekt?
„Green Deal Ukraina“ gibt es seit 2023 und es wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Im Projekt geht es um Forschung und Entwicklung mit der Ukraine im Bereich der Energie- und Klimaforschung. Gemeinsam mit unseren ukrainischen und polnischen Partnern und den Regierungen arbeiten wir an Energiesystemmodellierungen und Studien. Außerdem bilden wir Entscheidungsträger:innen auf lokaler, regionaler und nationaler ukrainischer Ebene beim Thema Energielösungen fort.
Woran arbeiten Sie bei „Green Deal Ukraina“ aktuell?
Im Juli wird unser Capacity-Building-Team nach Ivano-Frankivsk reisen und mit der Fortbildung von lokalen Energie-Expert*innen beginnen. Da geht es unmittelbar um Lösungen vor Ort. Zurzeit arbeitet unser Team insbesondere an der Frage, wie man die Stromversorgung in der Ukraine für den nächsten Winter und die darauffolgenden Jahre sichern kann. Bei der gerade stattfindenden „Ukraine Recovery Conference“ ist „Green Deal Ukraina“ ganz vorn mit dabei. Begleitend zur Konferenz organisieren wir gemeinsam mit Fraunhofer und Leibniz ein großes Event zu Forschung und Entwicklung für nachhaltigen Wiederaufbau am Beispiel von Energie, Klima und Landwirtschaft. Die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Bettina Stark-Watzinger, sowie ihr ukrainischer Counterpart werden ebenfalls dort sprechen. Die Medien interessieren sich übrigens auch für das Thema. Im Spiegel etwa gab es ein vielbeachtetes Interview zum Stand des Projekts.
Was planen Sie mittel- und langfristig?
Die Ukraine wird voraussichtlich auf dem nächsten Europäischen Rat (27.-28. Juni 2024) zu formalen Beitrittsverhandlungen eingeladen. Das ist sehr wichtig und hat symbolische Bedeutung für die Zugehörigkeit des Landes zu „Europa“. Das Team von „Green Deal Ukraina“ arbeitet in Rechtsfragen eng mit der EU-Kommission und mit deutschen und ukrainischen Regierungsstellen zusammen. Bis 2027 wollen wir in der Ukraine einen unabhängigen Energie- und Klima-Think-Tank aufbauen, der die Arbeit, die hier in Berlin von 2023 bis 2027 läuft, fortsetzen und ausbauen soll.
Was können wir in Kooperationen wie dieser von der Ukraine lernen?
Wir lernen zunächst, dass wir zusammengehören: Die Ukraine ist europäisch und hier gibt es ein riesiges Potenzial in einem sehr spannenden Land. Wir lernen, dass Forschung und Entwicklung auch in Kriegszeiten entscheidend sind. Und wir freuen uns, dass wir Teil dieser Dynamik sind.