„Der Markt wird dieses Thema anschieben“ - Interview zur Rolle von synthetischem Kerosin für die Luftfahrt
Im Forschungs-Konsortium CARE-O-SENE arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an Wegen, synthetisches Kerosin für die Luftfahrt effizient herzustellen. Ein Gespräch mit Tobias Sontheimer vom HZB und Dirk Schär vom ebenfalls beteiligten Konzern Sasol über die nötigen Verfahren, die Hindernisse – und darüber, wie sich der Luftverkehr dekarbonisieren lässt.
Herr Sontheimer, das Projekt CARE-O-SENE ist bis zum Jahr 2025 ausgelegt – das ist nicht gerade viel Zeit angesichts der ehrgeizigen Ziele, oder?
Tobias Sontheimer: (Lacht) Das stimmt, aber wir können es uns in der derzeitigen Situation nicht leisten, Innovationszyklen von 10 oder 20 Jahren anzupeilen. Wir müssen sehr schnell zum Erfolg kommen.
Was macht Sie so sicher, dass es ein Erfolg wird?
TS: Das Konsortium ist so aufgestellt, dass darin der Marktführer im Bereich der Fischer-Tropsch-Technologie und Weltklasse-Forschungsinstitute zusammengebracht werden. Allein bei uns im Institut sind derzeit 40 bis 50 Personen mit dem Thema beschäftigt – wir arbeiten wirklich mit Volldampf.
Dirk Schär: Wir beschäftigen uns mit vielen Aufgaben parallel: Es gibt einen analytischen Teil in diesem Projekt, es gibt Experten, die sich mit Nachhaltigkeitsfragen auseinandersetzen und solche, die schon jetzt überlegen, wie man die Technologie schnell ausrollen kann. Das sind lauter einzelne Zahnräder, die präzise ineinandergreifen. Wenn auch nur eines fehlen würde, könnte das Projekt nicht gelingen.
Die Fischer-Tropsch-Technologie, die den Kern des Verfahrens bildet, ist ja nicht neu.
DS: Stimmt: Unsere Firma ist schon seit sieben Jahrzehnten auf diesem Feld tätig. In Südafrika, am Sitz unseres Unternehmens, gibt es viel Kohle, und man hatte mittels der Fischer-Tropsch-Technologie flüssige Treibstoffe hergestellt. „Coal to liquid“ heißt dieses Vorgehen, später kam noch „Gas to liquid“ hinzu. Jetzt wollen wir den nächsten Schritt gehen: Synthetische Treibstoffe sollen nicht mehr aus Kohle oder Gas, sondern aus Kohlendioxid hergestellt werden, das etwa in der Zementfabrikation entsteht oder sich der Luft entziehen lässt.
Wie genau funktioniert das Verfahren?
TS: Bei der Fischer-Tropsch-Technologie verwandelt man einen Ausgangsstoff – Kohle, Gas oder eben Kohlendioxid – in ein Synthesegas. Aus diesem Synthesegas wiederum lassen sich unterschiedliche Rohstoffe herstellen. Unter anderem synthetisches Kerosin, das ja bei unserem Projekt im Mittelpunkt steht.
DS: Das Fischer-Tropsch-Verfahren ist agnostisch zu der Kohlenstoffquelle, wie wir das immer nennen. Man kann also unterschiedlichste Ausgangsstoffe verwenden. Allerdings ist es ein Verfahren, das sehr viel Energie benötigt.
TS: An genau dieser Stelle wollen wir ansetzen. In dem Verfahren spielt ein Katalysator die zentrale Rolle, und wir möchten seine Effizienz steigern. Dafür arbeiten wir an der Synchrotronquelle BESSY II. Wir wollen auf mikroskopischer Skala ein Verständnis von den Materialeigenschaften des Katalysators gewinnen.
Das klingt recht abstrakt.
TS: Wir durchleuchten den Katalysator während des Betriebs – in operando -, um festzustellen, welche Prozesse dort ablaufen. Diese Informationen sind wiederum essenziell, um das Katalysatoren-Material weiterzuentwickeln. Wir verfolgen dabei mehrere Pfade, haben also mehrere Materialien im Blick. Die Spannweite reicht von einem Katalysator, der in der Entwicklung schon recht weit fortgeschritten ist, bis zu einem, der zwar potenziell eine höhere Effizienz haben wird, aber dafür noch viel Entwicklungsarbeit benötigt. Ein langfristiges Ziel könnte sein, dass wir uns von den derzeit gebräuchlichen Pulverkatalysatoren zu Dünnschichtkompositionen hin entwickeln, die weniger Material benötigen. Und gleichzeitig müssen wir darauf achten, dass sich die Technologie prinzipiell upscalen lässt – dass sie also in großem Maßstab anwendbar ist.
Um wieviel effizienter soll denn die Herstellung des synthetischen Kerosins werden?
DS: Wir sind sicher, dass wir eine Prozessausbeute von mehr als 80 Prozent erreichen können. Das ist gegenüber den gegenwärtigen Möglichkeiten eine Verbesserung von bis zu 30 Prozent.
Was würde ein solches neuartige Kerosin für die Luftfahrt bedeuten?
DS: Es gibt heute schon Beimischungen, wobei die festen Quoten der EU recht niedrig sind und sich auf andere Technologien fokussieren, auf biogenes Kerosin. In einer Roadmap sieht die EU aber vor, dass sich der Beimischungsanteil kontinuierlich erhöhen soll und auch nicht-biogenes Kerosin zugemischt werden soll. Nur, dass Sie eine Vorstellung bekommen: Für das Jahr 2030 sind noch Beimischungen von 5 Prozent vorgesehen, aber Richtung 2050 sollen schon 63 Prozent des beigemischten Kerosins synthetisch hergestellt sein.
Können auch die heutigen Flugzeugmodelle komplett mit synthetischem Kraftstoff angetrieben werden?
TS: Ja, rein technisch ist das kein Problem. Es gibt aber regulative Hindernisse: Derzeit ist ein höchstens fünfzigprozentiger Anteil erlaubt.
Das Ziel am Horizont ist ja für viele Forscherinnen und Forscher, die Luftfahrt zu dekarbonisieren. Sind synthetische Kraftstoffe nur eine Übergangstechnologie, bis es batterieelektrische Flugzeuge gibt oder Turbinen, die mit Wasserstoff betrieben werden?
DS: Sie ziehen damit eine Parallele zum Autoverkehr, stimmt’s?
Genau: Da gelten die Verbrenner ja als Auslaufmodelle, die nach und nach ersetzt werden – vornehmlich durch Elektrofahrzeuge.
TS: Damit lässt sich die Luftfahrt aber nicht wirklich vergleichen und wie da die Antwort ausfällt, kommt ganz auf das Einsatzgebiet eines Flugzeugs an. Ob es um Lang-, Kurz- oder Mittelstrecken geht etwa, oder auch, wieviele Passagiere befördert werden sollen. Es gibt deshalb in der Forschung viele parallele Entwicklungen, die alle das nachhaltige Fliegen zum Ziel haben, und sie alle haben ihre Berechtigung. Für Kurzstreckenflüge steht die Luftfahrt in Konkurrenz mit anderen Transportmitteln.
DS: Eine Batterie für einen Mittel- oder Langstreckenflug, die einen Flugzeugmotor antreiben kann, würde viele Tonnen wiegen. Man müsste sie die ganze Zeit als Totgewicht hin- und herfliegen, während herkömmliche Flugzeuge im Laufe des Flugs wegen des Kerosinverbrauchs immer leichter werden. Die Diskussion dreht sich in der Luftfahrt weniger um die Frage, ob wir mit Verbrennern oder ohne Verbrenner arbeiten, sondern um den effizientesten Weg, ein Flugzeug von Punkt A zu Punkt B zu bringen.
Wieviel kostet denn das neue synthetische Kerosin im Vergleich zu herkömmlichem Treibstoff?
DS: Es kostet im Augenblick noch ein Mehrfaches. Aber das ist nicht anders als bei vielen grünen Technologien, die sich auch nur über vorgegebene Quoten durchsetzen können. Aber wir forschen ja genau deshalb, damit wir die Herstellung effizienter gestalten können und damit die Preise runterkriegen.
Lassen Sie uns nochmal auf Ihr Projekt schauen. Im Zieljahr 2025…
DS: … soll ein Katalysator so weit entwickelt sein, dass wir ihn upscalen können.
Das heißt, der Katalysator kann noch nicht sofort eingesetzt werden?
TS: Wir decken in unserem Projekt alles ab von der Herstellung einzelner Mikrogramm des Katalysator-Materials bis hin zu einer Tonne. Es ist also schon ein erster Schritt zur Kommerzialisierung.
DS: Allein wir bei Sasol stellen aber jedes Jahr viele tausend Tonnen von Katalysatoren her. Das, was wir bei CARE-O-SENE entwickeln, soll so konzipiert sein, dass vorhandene Produktionsanlagen adaptiert werden können.
Jetzt haben wir die technische und die ökonomische Seite betrachtet. Wie sieht es auf der regulatorischen Seite aus – ist man da überhaupt schon so weit, synthetisches Kerosin für den Regelbetrieb zuzulassen?
DS: Die Vorgaben der EU orientieren sich meiner Beobachtung nach an den Produktionsmöglichkeiten. Es brächte ja nichts, wenn man jetzt 30 Prozent Beimischung festschreiben würde, aber die Kapazitäten in den nächsten Jahren überhaupt nicht bereitgestellt werden könnte. Aus genau diesem Grund sind die Beimischquoten recht konservativ; man will sicher sein, dass in Europa ausreichende Produktionskapazitäten geschaffen werden können. Aber uns macht das nicht: Es zeichnet sich jetzt schon ab, dass freiwillige Selbstverpflichtungen über die vorgeschriebenen Beimischquoten hinausgehen und somit der Markt dieses Thema anschiebt.
TS: Die politische Situation hat sich ja auch gravierend verändert und mit ihr der Blick auf die Energiesicherheit. Unser Ziel ist es, einen substanziellen Beitrag zur Transformation des Luftverkehrs zu leisten. Und genau daran arbeiten wir.
ZU DEN PERSONEN:
Dirk Schär ist promovierter Chemiker und arbeitet in Hamburg als Technical Manager Marketing and Sales Catalysts bei Sasol Germany GmbH. Der Erdöl- und Chemiekonzern Sasol ist das zweitgrößte Industrieunternehmen Südafrikas, betreibt aber auch mehrere Anlagen in Europa, vor allen in Deutschland und Italien.
Tobias Sontheimer leitet am HZB die Strategieabteilung für Energie und Information. Der promovierte Physiker studierte in Aachen und an der Harvard University.
ZUM PROJEKT:
Im Forschungsprojekt CARE-O-SENE haben sich sieben Projektpartner aus Deutschland und Südafrika zusammengeschlossen. Sie wollen Katalysatoren für den Fischer-Tropsch-Prozess (FT) neu- und weiterentwickeln. Diese FT-Katalysatoren spielen eine Schlüsselrolle bei der großangelegten Produktion von grünem Kerosin. Mithilfe optimierter Katalysatoren lassen sich nachhaltige Flugzeugtreibstoffe, sogenannte Sustainable Aviation Fuels (SAF), effizienter herstellen. Im Gegensatz zu herkömmlichen fossilen Brennstoffen basieren diese SAFs auf grünem Wasserstoff und Kohlendioxid. Durch ihren Einsatz können die Treibhausgasemissionen in Branchen wie der Luftfahrt deutlich reduziert werden. CARE-O-SENE soll einen wichtigen Baustein der Nationalen Wasserstoffstrategie bilden. Das Projekt hat ein Gesamtvolumen von 40 Millionen EUR und wird mit 30 Millionen Euro vom BMBF gefördert. Beteiligt sind neben dem HZB sowie Sasol Limited und Sasol Germany das Karlsruhe Institute of Technology (KIT), das Fraunhofer-Institut für Keramische Technologien und Systeme (IKTS), die Universität Kapstadt (UCT) und die Ineratec GmbH.