Scharfer Blick in winzige ferroelektrische Kristalle
Was geschieht mit ferroelektrischen Werkstoffen, wenn ihre Dimensionen stark verkleinert werden? Ein Forscherteam am HZB konnte nun zeigen, wie sich diese Frage detailliert beantworten lässt.
Ferroelektrische Materialien haben eine besondere innere Struktur. In den kristallinen Stoffen richten sich Ionen innerhalb einzelner Bereiche, den Domänen, unterschiedlich aus. Diese sogenannte Polarisierung lässt sich durch elektrische Felder oder einen äußeren Druck verändern oder umschalten. Diese Eigenschaften machen ferroelektrische Werkstoffe für verschiedene technische Anwendungen interessant. So eignen sie sich als Material für Kondensatoren – oder, weil die Domänen sehr klein sind, für die Speicherung von großen Datenmengen auf engem Raum.
Doch wie wandeln sich die ferroelektrischen Eigenschaften, wenn die Dimensionen des Materials stark verringert werden, etwa um sie in nanoelektronischen Bauteilen zu einzusetzen? Experimente haben gezeigt, dass das Schrumpfen enorme Auswirkungen auf das Muster der ferroelektrischen Polarisation hat. „Wenn die Dimensionen verkleinert werden, können die ferroelektrischen Domänen eine ganz andere Form annehmen und erstrecken sich räumlich teils nur über wenige Nanometer“, erklärt Prof. Dr. Catherine Dubourdieu, Leiterin des Instituts Funktionale Oxide für die energieeffiziente IT am Helmholtz Zentrum Berlin für Materialien und Energie (HZB). „Die Vielfalt der elektrischen Strukturen auf nanokristalliner Ebene eröffnet einen völlig neuen, spannenden Horizont sowohl für das Verständnis der Physik dieser Objekte als auch für ihre potenziellen Anwendungen. Eine zentrale Herausforderung besteht darin, solche winzigen Domänen zerstörungsfrei sichtbar zu machen.“
Nun hat Catherine Dubourdieu und ihrem Team gemeinsam mit Kollegen am Oak Ridge National Laboratory (ORNL) in den USA einen Weg aufgezeigt, um das Polarisationsmuster in dünnen ferroelektrischen Schichten präzise und zudem zerstörungsfrei zu kartieren. Dazu setzten die Forschenden auf die sogenannte Kontakt-Kelvin-Sonden-Mikroskopie (cKPFM) – eine Methode, bei der die elektromechanische Reaktion des Materials auf eine elektrische Spannung gemessen wird. Um die großen Datenmengen auszuwerten, die durch die Kartierung von nur 8x8 nm2 kleinen Pixeln entstehen, hat das HZB-Team ein maschinelles Lernverfahren eingesetzt. So gelang es, ferroelektrische Domänen von weniger als 10 Nanometer Größe und mit unterschiedlichen Polarisationsamplituden räumlich aufzulösen. Als Probenmaterial verwendeten die HZB-Forscher eine dünne Schicht aus Bariumtitanat (BaTiO3) in zwei kristallinen Formen: mit sogenannter Perowskit-Struktur (einer der am besten bekannten ferroelektrischen Werkstoffe) und mit hexagonaler Struktur, die bei Raumtemperatur nicht ferroelektrisch ist.
Um die Zuverlässigkeit des verwendeten Messverfahrens zu überprüfen, analysierten die Teams am HZB und ORNL die Nanostrukturen zusätzlich mithilfe der Transmissionselektronenmikroskopie (TEM). „Die Ergebnisse beider experimenteller Verfahren stimmten vollständig überein“, freut sich Dubourdieu. Mit dieser Methode konnten die Wissenschaftler auch die Entwicklung des ferroelektrischen Musters verfolgen, während die Probe bis in ihren paraelektrischen Zustand aufgeheizt wurde. Das eröffnet die Möglichkeit, auch die Temperaturabhängigkeit der ferroelektrischen Domänenverteilung zu untersuchen und zu beobachten, wie sich ferroelektrische Domänen unterhalb der sogenannten Curie-Temperatur bilden.
"Unsere Ergebnisse schaffen eine vielversprechende neue Perspektive für die Untersuchung einer Vielzahl von Polarisationsmustern im Maßstab weniger Nanometer. Das könnte zum Beispiel dazu führen, die Verteilung von topologischen polaren Texturen wie polaren Skyrmionen zu kartieren, die nachweislich eine Größe von etwa 10 Nanometern haben, oder polare von unpolaren Domänen in polykristallinen ferroelektrischen Dünnschichten auf Basis von HfO2 zu unterscheiden – einer Art von Materialien, die intensiv hinsichtlich ihrer Integration in die aktuelle Nanoelektronik untersucht werden", sagt Dubourdieu. Sie ist überzeugt: "Künftig wird die Kartierung der Ferroelektrizität auf der Nanoskala mit Hilfe des maschinellen Lernens Einblicke in Phänomene liefern, die auftreten, wenn die Dimensionen reduziert werden – und die Integration von ferroelektrischer Werkstoffe in Nanogeräte vereinfachen."
Zur Publikation:
ACS Appl. Electron. Mater. (2021)
Sub-10 nm Probing of Ferroelectricity in Heterogeneous Materials by Machine Learning Enabled Contact Kelvin Probe Force Microscopy
Sebastian W. Schmitt, Rama K. Vasudevan, Maurice Seifert, Albina Y. Borisevich, Veeresh Deshpande, Sergei V. Kalinin, and Catherine Dubourdieu
doi: 10.1021/acsaelm.1c00569