Unordnung bringt quantenphysikalische Talente zum Vorschein
Der Dirac-Kegel ist typisch für Topologische Isolatoren und auf allen 6 Bildern praktisch unverändert (ARPES-Messungen an BESSY II). Der blaue Pfeil zeigt zusätzlich die Valenzelektronen im Volumen. Das Synchrotronlicht tastet beide ab und kann so den Dirac Kegel an der Oberfläche (elektrisch leitend) vom dreidimensionalen Volumen (isolierend) unterscheiden. © HZB
Quanteneffekte machen sich vor allem bei extrem tiefen Temperaturen bemerkbar, was ihren Nutzen für technische Anwendungen einschränkt. Dünnschichten aus MnSb2Te4 zeigen jedoch neue Talente, weil sie zu einem kleinen Überschuss an Mangan neigen. Offenbar sorgt die entstehende Unordnung für spektakuläre Eigenschaften: Das Material erweist sich als Topologischer Isolator und ist ferromagnetisch bis zu vergleichsweise hohen Temperaturen von 50 Kelvin, zeigen Messungen an BESSY II. Damit kommt diese Materialklasse für Quantenbits in Frage, aber auch generell für die Spintronik oder Anwendungen in der Hochpräzisions-Metrologie.
Quanteneffekte wie der anomale Quanten-Hall-Effekt ermöglichen Sensoren mit höchster Empfindlichkeit, sind die Grundlage für spintronische Bauelemente in künftigen Informationstechnologien und auch für Qubits in Quantencomputern der Zukunft. Doch in der Regel zeigen sich die dafür relevanten Quanteneffekte nur bei sehr tiefen Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt und in besonderen Materialsystemen deutlich genug, um nutzbar zu sein.
Ferromagnetischer Topologischer Isolator
Nun hat ein internationales Team um den HZB-Physiker Prof. Dr. Oliver Rader und Prof. Dr. Gunther Springholz, Universität Linz, in Dünnschichten von MnSb2Te4 zwei besonders wichtige physikalische Eigenschaften beobachtet: Solche Strukturen sind robuste Topologische Isolatoren und außerdem ferromagnetisch bis zu knapp 50 Kelvin. „Den bislang publizierten theoretischen Betrachtungen zufolge, sollte das Material weder ferromagnetisch noch topologisch sein“, sagt Rader. „Wir haben genau diese beiden Eigenschaften nun aber experimentell nachgewiesen.“
Unordnung macht den Unterschied
Die Gruppe kombinierte Messungen von spin- und winkelaufgelöster Photoemissionsspektroskopie (ARPES) und magnetischen Röntgenzirkulardichroismus (XMCD) an BESSY II, untersuchte die Oberflächen mit Rastertunnelmikroskopie (STM) und -spektroskopie (STS), und führte weitere Untersuchungen durch. „Dadurch ist nun auch klar, warum in diesem Fall die theoretische Betrachtung zu einem anderen Resultat gekommen ist – die Theorie ging von einer ideal geordneten Struktur aus, aber wir sehen, dass die zusätzlichen Mangan-Atome zu einer gewissen Unordnung geführt haben. Das erklärt den Unterschied“, so Rader.
Robust bis zu 50 Kelvin
Die Eigenschaften sind außerordentlich robust und treten bis zu einer Temperatur von knapp 50 K auf, das liegt dreimal höher als bei den besten ferromagnetischen Systemen zuvor (siehe Nature, 2019). Damit ist dieses Material ein interessanter Kandidat für die Spintronik und sogar für Qubits.