BESSY II: Universellen Regulationsmechanismus in Pflanzenzellen entdeckt
In einer Pionierarbeit konnte ein deutsch-japanisches Team an BESSY II die 3D-Struktur eines katalytischen Metallo-Proteins bestimmen, das in allen Pflanzenzellen eine wichtige Rolle spielt. Es handelt sich dabei um die DYW-Desaminase-Domäne des so genannten RNA-Editosoms. In dieser DYW-Domäne sitzt ein Zink-Ion, dessen Aktivität mit einem sehr ungewöhnlichen Mechanismus kontrolliert wird. Das Team konnte nun diesen Mechanismus erstmals im Detail aufklären. Die Studie in Nature Catalysis gilt als Durchbruch auf dem Gebiet der molekularen Pflanzenbiologie und hat weitreichende biotechnologische Implikationen.
Alle Pflanzenzellen gewinnen ihre Energie hauptsächlich in zwei Organellen, den Chloroplasten (Photosynthese) und Mitochondrien (Atmung, Umwandlung von Zuckern in Energie). Eine Vielzahl von Genen in Mitochondrien und Chloroplasten weisen jedoch Fehler auf, die ihre Funktion gefährden. Daher hat sich in Pflanzenzellen ein Prozess etabliert, um solche Fehler zu reparieren: Das RNA-Editosom (ein großer Proteinkomplex) kann die Boten-RNA-Transkripte verändern, indem es bestimmte Nukleotide austauscht.
Die automatische Fehlerkorrektur in Pflanzenzellen
Dies entdeckte vor etwa 30 Jahren ein Team um den Pflanzenphysiologen Axel Brennicke. Bei diesem Prozess werden bestimmte Cytidin-Nukleotide in der Boten-RNA in Uridine umgewandelt, um Fehler im Chloroplasten- oder Mitochondrien-DNA-Genom zu korrigieren. Das RNA-Editing ist somit essentiell für Prozesse wie Photosynthese und Atmung in Pflanzenzellen. Jahre später zeigten weitere Studien, dass eine Gruppe von Proteinen, so genannte PPR-Proteine mit DYW-Domänen eine zentrale Rolle beim pflanzlichen RNA-Editing spielen. Diese PPR-Proteine mit DYW-Domänen werden im Zellkern kodiert und wandern durch die Zellen zu Chloroplasten oder Mitochondrien. Dabei verhalten sie sich auf ihrem Weg zu den Organellen passiv. Erst in den Zielorganellen werden sie aktiv und üben ihre Funktion aus. Wie diese Aktivierung jedoch funktioniert und wie DYW Domänen strukturell organisiert sind, war bisher rätselhaft.
Viele Jahre lang war es nicht gelungen, diese PPR-Proteine vom DYW-Typ synthetisch im Labor herzustellen, um ihre Funktion und Struktur genauer zu untersuchen. Erst jetzt hat dies ein deutsch-japanisches Team um den Strukturbiologen und Biochemiker Dr. Gert Weber von der gemeinsamen Arbeitsgruppe Proteinkristallographie am Helmholtz-Zentrum Berlin und der Freien Universität Berlin geschafft.
3D-Struktur des entscheidenden Proteins entschlüsselt
Zuvor hatte die Gruppe von Prof. Mizuki Takenaka die DYW-Domäne in Bakterien herstellen können. Takenaka forscht seit 2018 an der Universität Kyoto und hat davor im Labor von Axel Brennicke in Ulm gearbeitet. Tatiana Barthel (Universität Greifswald und jetzt HZB) konnte daraufhin erste Proteinkristalle der DYW-Domäne züchten. Eine große Anzahl dieser Kristalle wurde nun an den MX-Beamlines von BESSY II analysiert, so dass die dreidimensionale Architektur der DYW-Domäne entschlüsselt werden konnte. „Dank der gemeinsamen Forschungsgruppe haben wir die Möglichkeit, jederzeit sehr schnell Strahlzeit für Messungen zur Verfügung zu stellen, das war entscheidend", sagt Dr. Manfred Weiss, der für die MX-Beamlines von BESSY II verantwortlich und Co-Autor der Studie ist.
Architektur liefert den Hinweis
Tatsächlich lieferte diese dreidimensionale Architektur den entscheidenden Hinweis auf den Mechanismus der Aktivierung der DYW-Domäne, der für alle Pflanzen gilt. Denn im Zentrum der DYW-Domäne sitzt ein Zink-Atom, das wie ein Katalysator die Cytidin-Desaminierung zu Uridin beschleunigen kann. Dafür muss das Zink jedoch optimal positioniert werden. Die Rolle des Schalters spielt dabei eine sehr ungewöhnliche „Gating-Domäne“ in unmittelbarer Nähe des katalytischen Zentrums. Die Strukturanalyse zeigt, dass diese Gating- Domäne zwei unterschiedliche Positionen einnehmen kann, wodurch sie das Enzym ein- oder ausschaltet. „Die Bewegung der Gating-Domäne reguliert, inwieweit das Zink-Ion für die katalytische Reaktion zur Verfügung steht", erklärt Weber.
Rätsel der Aktivierung gelöst
Nun wird klar, warum es bisher schwierig war, PPR-Proteine vom DYW-Typ mit RNA im Reagenzglas reagieren zu lassen: Diese PPR-Proteine sind inaktiv und benötigen eine Aktivierung. In den Zellen werden sie zunächst im Zellkern produziert und dann höchstwahrscheinlich in einem stummen Zustand an ihren Wirkort geschickt. "Das ist perfekt, denn sonst würden diese Moleküle schon unterwegs "arbeiten" und verschiedene RNAs unkontrolliert verändern, was schädlich für die Zelle wäre", sagt Weber.
Werkzeug für Reparaturen aller Art
Für die Molekularbiologie der Pflanzen ist diese Arbeit ein Durchbruch, denn sie beschreibt eine weitere Ebene der ausgeklügelten Regulation in Chloroplasten und Mitochondrien.
Die Ergebnisse sind einerseits grundlegend für die Pflanzenwissenschaften, könnten aber auch eines Tages in unserem täglichen Leben eine Rolle spielen. Die DYW-Domäne würde ein nützliches Werkzeug für kontrollierbare und ortsspezifische C-zu-U- und U-zu-C-RNA-Editierung bieten. Dies könnte sowohl biotechnologische als auch medizinische Anwendungen ermöglichen, zum Beispiel bestimmte Gene neu zu kodieren, ohne die DNA zu verändern.