Tomographie bringt Einblicke in die frühe Evolution der Knochen

So könnte der Panzerfisch ausgesehen haben, der vor 380 Millionen Jahren lebte.

So könnte der Panzerfisch ausgesehen haben, der vor 380 Millionen Jahren lebte. © Brian Engh/dontmesswithdinosaurs.com

Mit einem Verfahren, das an Batterieleketroden trainiert wurde, gelang die Berechnung der 3D-Bilder aus den fossilen Knochenproben mit Auflösungen im Nanometerbereich.

Mit einem Verfahren, das an Batterieleketroden trainiert wurde, gelang die Berechnung der 3D-Bilder aus den fossilen Knochenproben mit Auflösungen im Nanometerbereich. © HZB

Die Bilddaten aus der fossilen Knochenprobe zeigen die Knochenzelle und ihre winzigen Verbindungskanäle, die tausendmal feiner sind als ein Haar.

Die Bilddaten aus der fossilen Knochenprobe zeigen die Knochenzelle und ihre winzigen Verbindungskanäle, die tausendmal feiner sind als ein Haar. © HZB

Fast alle Wirbeltiere besitzen Knochen mit eingebetteten Knochenzellen, die über unzählige Nano-Kanälchen miteinander verbunden sind. Doch wann im Lauf der Evolution ist dieses komplexe Netzwerk entstanden und wieso hat es sich weitgehend durchgesetzt? Ein Team von Paläontologen am Museum für Naturkunde Berlin hat nun erstmals in rund 400 Millionen Jahre alten Fossilien von Meereslebewesen solche Strukturen in beispiellos hoher Auflösung analysiert. Um diese Strukturen sichtbar zu machen, hatten Tomographie-Experten am Helmholtz-Zentrum Berlin (HZB) die Proben unter fokussiertem Ionenstrahl im Rasterelektronenmikroskop untersucht und aus den Daten 3D-Abbildungen mit Auflösungen im Nanometerbereich errechnet.

Ob Vögel, Fische oder Säugetiere, alle Wirbeltiere besitzen ein inneres Gerüst aus Knochen. Bei fast allen Wirbeltieren (mit Ausnahme von bestimmten Knochenfischen) besteht die Knochensubstanz aus einem komplexen Verbund aus Mineralien, Proteinen und lebenden Knochenzellen (Osteozyten). Dabei sind die Knochenzellen untereinander durch winzige Kanälchen verbunden, sodass sie Stoffe und Signale austauschen können und der Knochen wachsen oder sich regenerieren kann. Doch diese komplexe Architektur aus lebendigem und anorganischem Material musste im Lauf der Evolution erst entstehen. Wie und wann das geschah, untersucht ein Team am Naturkundemuseum Berlin um Dr. Florian Witzmann. Nun haben sie einen möglichen Meilenstein in dieser Entwicklung entdeckt.

400 Millionen Jahre alte Fossilien untersucht

Sie untersuchten dafür fossile Proben aus den Knochenplatten zweier früher Fischgattungen, die vor rund 400 Millionen Jahren lebten. Eine Probe stammte von Tremataspis mammillata, einem kieferlosen gepanzerten Fisch, der im späten Silur vor etwa 423 Millionen Jahren lebte und zu den sogenannten Osteostraci gehört. Die zweite, deutlich jüngere Probe war ein Stück Knochen aus dem kiefertragenden Fisch Bothriolepis trautscholdi, der im späten Devon vor rund 380 Millionen Jahren lebte und zu den Panzerfischen (Placodermi) gehört. „Bei diesen frühen Wirbeltieren war zwar schon bekannt, dass sie Knochenzellen besaßen, wir wussten aber wenig über die Art und Weise ihrer Verbindungen untereinander sowie über die Feinstrukturen der Hohlräume, sogenannte Lacuna, in denen sich die Knochenzellen im lebenden Tier befanden. Um genauere Aussagen über den Knochenstoffwechsel machen zu können, mussten wir ungleich detaillierte Abbildungen dieser Strukturen haben, als bisher verfügbar waren“, sagt Witzmann.

Bildgebende Verfahren am HZB

Um dies möglich zu machen, schlug der HZB-Experte Dr. Ingo Manke ein Verfahren vor, das am HZB-Campus in Wannsee im Labor für Elektronenmikroskopie zur Verfügung steht: Die FIB-SEM-Tomographie am ZEISS Crossbeam 340. Dabei trägt ein fokussierter Gallium-Ionenstrahl kontinuierlich Material von der Probenoberfläche ab und gräbt sich nach und nach weiter in die Probe hinein – zeitgleich tastet ein Elektronenstrahl den frisch abgetragenen Teil der Probe ab und liefert Daten für die Erstellung von 3D-Abbildungen mit einer Auflösung, die mehr als hundertmal genauer ist als bei der Computertomographie.

Verfahren aus der Batterieforschung hilft bei der Bildberechnung

Das Team um Manke hatte mit diesem Verfahren bereits Elektrodenmaterialien für Batterien untersucht, die ein feines Kanalnetzwerk für den Transport von Ionen besitzen. Für die Bildberechnung aus den Messdaten hatte der HZB-Physiker Markus Osenberg ein ausgeklügeltes Auswerteverfahren genutzt, das am 3D Analytics Lab des HZBs entwickelt wurde: Ein speziell trainiertes „Neuronales Netz“, ein Verfahren aus dem maschinellen Lernen. Denn die Bilder von solchen Proben können nicht mit Standardverfahren berechnet werden: „Die Probenoberfläche ist durch die Kanäle löchrig wie ein Schweizer Käse“, erklärt Osenberg, der im Team von Manke promoviert. Das gut trainierte Neuronale Netz erkennt jedoch nach einiger Übung, wo es in die Tiefe geht, und wo die Schnittebene verläuft und rekonstruiert so ein akkurates Bild der Schnittfläche. „Tatsächlich sind die Strukturen in den Knochenproben relativ ähnlich wie die Strukturen in den Elektrodenmaterialien von Batterien; aber dass das Neuronale Netz, das an Batteriematerialien gelernt hat, nun auch die fossilen Knochenproben so gut berechnen kann, hat uns auch überrascht“, sagt Osenberg.

Kanäle tausendmal feiner als ein Haar

Die 3D-Aufnahmen zeigen auch bei der älteren Probe des kieferlosen gepanzerten Fisches ein komplexes Netzwerk mit Hohlräumen (Lacuna) für die Knochenzellen und winzigen Kanälchen, die diese Hohlräume verbinden. „Die Kanäle sind tausendmal schmaler als ein menschliches Haar und haben sich dennoch erstaunlicherweise über diese 400 Millionen Jahre nahezu vollständig erhalten“, sagt Manke.

Spuren des Knochenstoffwechsels

Die aufwändige Analyse der hochaufgelösten 3D-Aufnahmen zeigt im Detail, wie das Netzwerk aus Hohlräumen und Kanälchen aufgebaut war. „Das belegt, dass unsere frühen, noch kieferlosen Vorfahren bereits Knochen mit einer ähnlichen inneren Struktur und wahrscheinlich vielen ähnlichen physiologischen Fähigkeiten besaßen wie wir selbst,“ erklärt Witzmann. „Das wichtigste paläobiologische Ergebnis ist, dass wir in diesen frühesten Knochenproben auch direkte Spuren eines Stoffwechsels erkennen können“, sagt Yara Haridy, die am Museum für Naturkunde ihre Doktorarbeit macht. Durch lokale Osteolyse, also Auflösung der Knochenmatrix, welche die Knochenzellen umgab, war der Organismus wahrscheinlich in der Lage, in Notzeiten seinen Bedarf an Phosphor zu decken.

Vorteil durch Knochenzellen

Damit hatte er einen Vorteil im Vergleich zu seinen ursprünglicheren Zeitgenossen, die zellfreien Knochen besaßen, deren Knochen also keine Osteozyten enthielten. „Dieser Vorteil hat offenbar dazu geführt, dass sich bei Wirbeltieren Knochen mit Knochenzellen weitgehend durchsetzen konnten, also Knochen, wie wir sie auch bei uns Menschen kennen. Dies ist ein wichtiger Schritt zu der Erkenntnis, wie unser eigener Knochenstoffwechsel entstanden ist“, erklärt Haridy.

Knochenzellen als Mineralien-Speicher

Zusammenfassend betont sie: "Sogar in frühen fossilen Knochen konnten Knochenzellen Knochenmineralien auflösen und wiederherstellen. Knochen speichern Mineralien und können sie später wieder freisetzen, ähnlich wie eine Batterie! Diese Fähigkeit verschaffte den kieferlosen Fischen mit Knochenzellen einen unbestreitbaren Vorteil gegenüber den Wirbeltieren ohne. Dieser Vorteil war möglicherweise so tiefgreifend, dass er die Evolution der Wirbeltiere veränderte."

 

 

arö

  • Link kopieren

Das könnte Sie auch interessieren

  • Batterieforschung mit dem HZB-Röntgenmikroskop
    Science Highlight
    18.11.2024
    Batterieforschung mit dem HZB-Röntgenmikroskop
    Um die Kapazität von Lithiumbatterien weiter zu steigern, werden neue Kathodenmaterialien entwickelt. Mehrschichtige lithiumreiche Übergangsmetalloxide (LRTMO) ermöglichen eine besonders hohe Energiedichte. Mit jedem Ladezyklus wird jedoch ihre Kapazität geringer, was mit strukturellen und chemischen Veränderungen zusammenhängt. Mit Röntgenuntersuchungen an BESSY II hat nun ein Team aus chinesischen Forschungseinrichtungen diese Veränderungen erstmals experimentell mit höchster Präzision vermessen: Mit dem einzigartigen Röntgenmikroskop konnten sie morphologische und strukturelle Entwicklungen auf der Nanometerskala beobachten und dabei auch chemische Veränderungen aufklären.

  • BESSY II: Neues Verfahren für bessere Thermokunststoffe
    Science Highlight
    04.11.2024
    BESSY II: Neues Verfahren für bessere Thermokunststoffe
    Umweltfreundliche Thermoplaste aus nachwachsenden Rohstoffen lassen sich nach Gebrauch recyclen. Ihre Belastbarkeit lässt sich verbessern, indem man sie mit anderen Thermoplasten mischt. Um optimale Eigenschaften zu erzielen, kommt es jedoch auf die Grenzflächen in diesen Mischungen an. Ein Team der Technischen Universität Eindhoven in den Niederlanden hat nun an BESSY II untersucht, wie sich mit einem neuen Verfahren aus zwei Grundmaterialien thermoplastische „Blends“ mit hoher Grenzflächenfestigkeit herstellen lassen: Aufnahmen an der neuen Nanostation der IRIS-Beamline zeigten, dass sich dabei nanokristalline Schichten bilden, die die Leistungsfähigkeit des Materials erhöhen.
  • Wasserstoff: Durchbruch bei Alkalischen Membran-Elektrolyseuren
    Science Highlight
    28.10.2024
    Wasserstoff: Durchbruch bei Alkalischen Membran-Elektrolyseuren
    Einem Team aus Technischer Universität Berlin, Helmholtz-Zentrum Berlin, Institut für Mikrosystemtechnik der Universität Freiburg (IMTEK) und Siemens Energy ist es gelungen, eine hocheffiziente alkalische Membran-Elektrolyse Zelle erstmals im Labormaßstab in Betrieb zu nehmen. Das Besondere: Der Anodenkatalysator besteht dabei aus preisgünstigen Nickelverbindungen und nicht aus begrenzt verfügbaren Edelmetallen. An BESSY II konnte das Team die katalytischen Prozesse durch operando Messungen im Detail darstellen, ein Theorie Team (USA, Singapur) lieferte eine konsistente molekulare Beschreibung. In Freiburg wurden mit einem neuen Beschichtungsverfahren Kleinzellen gebaut und im Betrieb getestet. Die Ergebnisse sind im renommierten Fachjournal Nature Catalysis publiziert.