Magnetische Fingerabdrücke im Fotostrom

Wissenschaftlern des Hahn-Meitner-Instituts Berlin (HMI) sowie der Freien Universität (FU) Berlin ist ein außergewöhnlicher Einblick ins Innere von organischen Materialien gelungen. Die Physiker konnten im Fotostrom erstmals eine Quantensignatur magnetisch aktiver Zentren in einer molekularen Schicht beobachten. Daraus ergeben sich neue Möglichkeiten sowohl für das Ein- und Auslesen von Quanteninformationen in molekularen Spinquantencomputern als auch für ein verbessertes Verständnis von organischer Photovoltaik. 

Organische Materialien sind preiswert herzustellen und daher für viele Anwendungen im Gespräch, für die bislang teurere anorganische Halbleitermaterialien wie Silizium oder Gallium-arsenid eingesetzt werden. In organischen Leuchtdioden (OLEDs) können sie aus Strom sehr effizient Licht erzeugen. In Solarzellen dagegen absorbieren sie das Sonnenlicht für die Umwandlung in Strom. Das größte Problem für den breiten kommerziellen Einsatz organischer Materialien ist die notwendige Verbesserung ihrer Leitfähigkeit und Stabilität. Diese Eigenschaften hängen von komplexen Vorgängen im Inneren der Materialien ab, unter anderem von den Spin-Zuständen der Ladungsträger (Elektronen). Unter Spin versteht man den Eigendrehimpuls der Elektronen (vergleichbar mit der Bewegung eines Kreisels), der einen magnetischen Dipol (elementarer Stabmagnet) erzeugt. Der Spin ist ein Phänomen aus der Quantenwelt, in einem äußeren Magnetfeld kann er nur zwei Zustände einnehmen („rauf“ – der Kreisel dreht links herum und „runter“ – der Kreisel dreht rechts herum). Daher kann man ihn auch als Informationsträger für Quantencomputer benutzen („rauf“ = 0 und „runter“ = 1).  

Trickreich: Wenn der Spin im Gleichtakt schwingt

Die Gruppen um Wolfgang Harneit (FU, Quantencomputer), Konstantinos Fostiropoulos (HMI-Wannsee, Organische Solarzellen) und Klaus Lips (HMI-Adlershof, Siliziumphotovoltaik) sowie Lips' früherem Kollegen Christoph Böhme, der mittlerweile eine Gruppe an der University of Utah, USA leitet, haben nun erstmals kohärente (im Gleichtakt schwingende) Spin-Zustände in organischen Substanzen bei Raumtemperatur elektrisch nachgewiesen. Traditionell werden Spin-Zustände durch Absorption von Mikrowellenstrahlung gemessen. Das Verfahren beruht dabei auf der Elektronenspinresonanz (ESR), gewissermaßen ein Ableger der aus der Medizin bekannten Magnet-Resonanz-Tomographie (MRT). Im Gegensatz zur MRT benötigt man hierfür aber „nur“ 100 Milliarden solcher magnetischerZustände.

Organische Filme aus Fullerenen (C60-Moleküle), die in nur wenige Nanometer (Millionstel Millimeter) dicken Schichten auf einen Träger von der Größe einer Handytaste aufgetragen werden, enthalten aber nur einen Bruchteil dieser Menge. Die Berliner Forscher haben deshalb einen Trick angewendet. Damit ist es Ihnen gelungen, den Spin-Zustand von nur wenigen Elektronen im Gleichtakt (kohärent) mithilfe der ESR zu ändern und diese Änderung als Oszillationen im Probenstrom nachzuweisen. Die Methode ist so empfindlich, dass 1.000 Spin-Zustände zum Nachweis ausreichen. Dies entspricht einer Steigerung der ESR-Empfindlichkeit um über sieben Größenordnungen.

„Aber das absolut Erstaunliche an unserer Entdeckung ist,“ so der Physiker Klaus Lips, „dass die fragilen Quantenzustände, die normalerweise in anorganischen Materialien nur bei Temperaturen knapp oberhalb des absoluten Nullpunkts überleben, ihren magnetischen Fingerabdruck im Strom auch bei Zimmertemperatur hinterlassen. Das eröffnet sensationelle Möglichkeiten in der Grundlagenforschung sowie für konkrete Anwendungen.“ Bedeutsam ist dieses Ergebnis auch, weil es einen Weg aufweist, um Quanteninformationen elektrisch ein- und auszulesen. „Das Umwandeln der Spin-Quantenzustände in ein elektrisches Signal ist ein entscheidender Fortschritt für die Herstellung von molekularen Quantencomputern“, so der Physiker Wolfgang Harneit.

Anziehende Fußballmoleküle und wandernde Elektronen

Die Wissenschaftler haben ihre Untersuchungen an den fußballförmigen C60-Molekülen durchgeführt. Von diesen ist bekannt, dass sie Elektronen gewissermaßen anziehen. Am HMI werden Fullerene in organischen Solarzellen eingesetzt, um die Elektronen von einem anderen organischen Stoff, dem Phthalocyanin (ein Farbstoff-Molekül) zu übernehmen. Im Phthalocyanin findet die eigentliche fotoinduzierte Anregung statt, das heißt, das Licht erzeugt an dem Farbstoff-Molekül ein negativ geladenes Elektron sowie positiv geladenes „Loch“. Aufgrund ihrer entgegengesetzten Ladung kann sich das Elektron jedoch nicht von seinem Gegenpart, dem „Loch“ lösen. Gemeinsam bewegt sich ein solches lichterzeugtes Teilchenpaar, Exciton genannt, von Molekül zu Molekül innerhalb der organischen Schicht.

Damit in der Solarzelle Strom fließt, muss das Paar getrennt werden, sodass das Elektron zum positiven Pol der Elektrode fließen kann und das „Loch“ zum negativen Pol. Um diese Trennung effektiv zu beschleunigen, werden Fullerene eingesetzt, da sie Elektronen anziehen. Auf ihrem Weg aus der Solarzelle können die Elektronen jedoch wieder auf die von ihnen getrennten Löcher treffen. Dies passiert bevorzugt an Materialdefekten. Hierbei entstehen langlebige Spin-Zustände, deren Lebensdauer von den Berliner Forschern mit Hilfe der ESR synchron verkürzt wurden, was sich als Schwingung im Fotostrom abbildet. „Wir konnten so nachweisen,“ freut sich Klaus Lips, „dass der Fotostrom auch bei Zimmertemperatur direkt von den Spin-Zuständen abhängig ist.“

Quelle: Physical Review Letters 98, 216601 (2007): Room Temperature Electrical Detection of Spin Coherence in C60

  • Link kopieren

Das könnte Sie auch interessieren

  • Zwei Humboldt-Fellows am HZB
    Nachricht
    09.12.2024
    Zwei Humboldt-Fellows am HZB
    Zwei junge Wissenschaftler sind zurzeit als Humboldt-Postdoktoranden am HZB tätig. Kazuki Morita bringt seine Expertise in Modellierung und Datenanalyse in die Solarenergieforschung im Team von Prof. Antonio Abate ein. Qingping Wu ist Experte für Batterieforschung und arbeitet mit Prof. Yan Lu zusammen an Lithium-Metall-Batterien mit hoher Energiedichte.

  • Weniger ist mehr: Warum ein sparsamer Iridium-Katalysator so gut funktioniert
    Science Highlight
    05.12.2024
    Weniger ist mehr: Warum ein sparsamer Iridium-Katalysator so gut funktioniert
    Für die Produktion von Wasserstoff mit Elektrolyse werden Iridiumbasierte Katalysatoren benötigt. Nun zeigt ein Team am HZB und an der Lichtquelle ALBA, dass die neu entwickelten P2X-Katalysatoren, die mit nur einem Viertel des Iridiums auskommen, ebenso effizient und langzeitstabil sind wie die besten kommerziellen Katalysatoren. Messungen an BESSY II haben nun ans Licht gebracht, wie die besondere chemische Umgebung im P2X-Kat während der Elektrolyse die Wasserspaltung befördert.
  • Batterieforschung mit dem HZB-Röntgenmikroskop
    Science Highlight
    18.11.2024
    Batterieforschung mit dem HZB-Röntgenmikroskop
    Um die Kapazität von Lithiumbatterien weiter zu steigern, werden neue Kathodenmaterialien entwickelt. Mehrschichtige lithiumreiche Übergangsmetalloxide (LRTMO) ermöglichen eine besonders hohe Energiedichte. Mit jedem Ladezyklus wird jedoch ihre Kapazität geringer, was mit strukturellen und chemischen Veränderungen zusammenhängt. Mit Röntgenuntersuchungen an BESSY II hat nun ein Team aus chinesischen Forschungseinrichtungen diese Veränderungen erstmals experimentell mit höchster Präzision vermessen: Mit dem einzigartigen Röntgenmikroskop konnten sie morphologische und strukturelle Entwicklungen auf der Nanometerskala beobachten und dabei auch chemische Veränderungen aufklären.