Was passiert in Stahl unter Belastung?

Die Neutronentomografie zeigt, wie sich die beiden unterschiedlichen kristallinen Phasen Austenit und Martensit in der Stahlprobe verteilen. Links ist die Probe nach Torsion gezeigt. Rechts nach Zugspannung.<br />

Die Neutronentomografie zeigt, wie sich die beiden unterschiedlichen kristallinen Phasen Austenit und Martensit in der Stahlprobe verteilen. Links ist die Probe nach Torsion gezeigt. Rechts nach Zugspannung.
© HZB/Wiley VCH

Covermotiv der &ldquo;Advanced Materials&rdquo;<br />

Covermotiv der “Advanced Materials”
© Wiley VCH

Umwandlung von Kristalliten mit neuartiger Neutronentomografie dreidimensional kartiert

Rostfreier Stahl wird überall eingesetzt und muss stellenweise höchsten Belastungen standhalten. Um abzuschätzen, wann das Material „ermüden“ könnte oder um z.B. industrielle Umformungsprozesse zu charakterisieren, muss man wissen, wo Belastungen Phasenumwandlungen auslösen, die das Gefüge verändern.

Nun haben Forscher am HZB und an der University of Tennessee Knoxville (UTK) eine neue Methode der Bildgebung mit Neutronen entwickelt, die deutlich genauere Einblicke ermöglicht: Sie können die Verteilung der kristallinen Phasen innerhalb der Probe mit hoher räumlicher Genauigkeit kartieren. Zuvor konnten solche Verteilungen nur an der Probenoberfläche oder innerhalb sehr kleiner Proben ermittelt werden. Die Ergebnisse veröffentlichten die Forscher in dem angesehenen Fachjournal „Advanced Materials“, das die Abbildungen sogar auf dem Titelblatt zeigt.

Für viele praktische Anwendungen ist es entscheidend, die Qualität des Materials nicht nur an einzelnen Stellen, sondern insgesamt genau zu charakterisieren. Zum Beispiel, um Strukturveränderungen oder andere sicherheitsrelevante Mängel zu identifizieren.

„Gemeinsam mit den Kollegen vom HZB haben wir dies an Proben aus TRIP-Stahl demonstriert, in denen wir durch Torsion oder Zug gezielt Phasenübergänge ausgelöst haben“, erklärt Prof. Dayakar Penumadu von der University of Tennessee Knoxville (UTK); Er und sein Doktorand Robin Woracek haben mit den HZB-Forschern Ingo Manke, Nikolay Kardjilov und André Hilger vom HZB-Institut für Angewandte Materialforschung das neue bildgebende Verfahren entwickelt: Dafür haben sie den Kontrast für Bragg-Streuung im polykristallinen Material deutlich verbessert, so dass sie deutlich präzisere Daten gewinnen konnten. Da die Messmethode Neutronen mit ausgewählten Wellenlängen nutzt, könnte sie auch an Spallationsquellen eingesetzt werden. Die Untersuchungen wurden an der CONRAD-Beamline des Berliner Forschungsreaktors BER II durchgeführt.

Die Forscher untersuchten Proben aus Stahl mit Durchmessern von 8 Millimetern, die anfangs hauptsächlich aus Austenit-Kristalliten (kubisch flächenzentriert) bestanden. Einige Proben wurden dann im Zugversuch plastisch verformt (zu erkennen an der Einschnürung) und andere im Torsionsversuch plastisch verdreht. Bei den Zugproben wandelten sich in der verengten Region in der Mitte, welche die höchste Verformung aufweist, die meisten Kristallite von Austenit in Martensit um (kubisch raumzentrierte Kristallform). Bei den Torsionsproben hingegen nimmt die Spannung von der Mitte zum äußeren Radius hin zu. Entsprechend war auch die Umwandlung von Austenit-Kristalliten in Martensit-Kristallite an der Oberfläche am größten, zeigten die Messungen an CONRAD. Diese quantitativen Ergebnisse stimmten hervorragend mit den Stichprobenuntersuchungen am Messinstrument E3 (Eigenspannungsanalyse, in Kooperation mit Mirko Boin) überein.

Rostfreie Stähle werden in vielen Bereichen eingesetzt, in Autos, Flugzeugteilen, Haushaltsgeräten und Gebäuden. Die neue Charakterisierungsmethode kann Unregelmäßigkeiten im Probenvolumen aufdecken, die mit keiner anderen Technik detektierbar wären. Dabei ist sie auch auf andere Materialien anwendbar, um Materialeigenschaften oder Herstellungsprozesse zu optimieren. Experten erwarten, dass sich damit zum Beispiel die Entwicklung von superelastischen Legierungen und Formgedächtnis-Legierungen verbessern lässt, die auch für die Medizintechnik wichtig sind.

Die Forschungsergebnisse sind im Fachjournal „Advanced Materials“ veröffentlicht, schon das Cover weist auf die Arbeit hin. „Advanced Materials“ ist mit einem Impaktfaktor von 15.4 eines der am meisten zitierten Journale im Bereich der Materialforschung.
http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/adma.201400192/abstract)

Original publication: Woracek, R., Penumadu, D., Kardjilov, N., Hilger, A., Boin, M., Banhart, J. and Manke, I. (2014), “3D Mapping of Crystallographic Phase Distribution using Energy-Selective Neutron Tomography”. Adv. Mater., 26: 4069–4073. doi: 10.1002/adma.201400192 (2014)

arö


Das könnte Sie auch interessieren

  • Neue Option, um Eigenschaften von Seltenerd-Elementen zu kontrollieren
    Science Highlight
    17.07.2024
    Neue Option, um Eigenschaften von Seltenerd-Elementen zu kontrollieren
    Die besonderen Eigenschaften von magnetischen Materialien aus der Gruppe der Seltenen Erden gehen auf Elektronen in der 4f-Schale zurück. Bislang galten die magnetischen Eigenschaften der 4f-Elektronen als kaum kontrollierbar. Nun hat ein Team von HZB, der Freien Universität Berlin und weiteren Einrichtungen erstmals gezeigt, dass durch Laserpulse 4f-Elektronen beeinflusst – und damit deren magnetische Eigenschaften verändert werden können. Die Entdeckung, die durch Experimente am EuXFEL und FLASH gelang, weist einen neuen Weg zu Datenspeichern mit Seltenen Erden.
  • HZB-Magazin lichtblick - die neue Ausgabe ist da!
    Nachricht
    09.07.2024
    HZB-Magazin lichtblick - die neue Ausgabe ist da!
    Auf der Suche nach dem perfekten Katalysator bekommt HZB-Forscher Robert Seidel nun Rückenwind – durch einen hochkarätigen ERC Consolidator Grant. In der Titelgeschichte stellen wir vor, warum die Röntgenquelle BESSY II für sein Vorhaben eine wichtige Rolle spielt.

  • BESSY II zeigt, wie sich Feststoffbatterien zersetzen
    Science Highlight
    09.07.2024
    BESSY II zeigt, wie sich Feststoffbatterien zersetzen
    Feststoffbatterien können mehr Energie speichern und sind sicherer als Batterien mit flüssigen Elektrolyten. Allerdings halten sie nicht so lange und ihre Kapazität nimmt mit jedem Ladezyklus ab. Doch das muss nicht so bleiben: Forscherinnen und Forscher sind den Ursachen bereits auf der Spur. In der Fachzeitschrift ACS Energy Letters stellt ein Team des HZB und der Justus-Liebig-Universität Gießen eine neue Methode vor, um elektrochemische Reaktionen während des Betriebs einer Feststoffbatterie mit Photoelektronenspektroskopie an BESSY II genau zu verfolgen. Die Ergebnisse helfen, Batteriematerialien und -design zu verbessern.