Streit um Topologische Isolatoren: Wissenschaftler weisen die Stabilität ihrer Oberflächenzustände nach.
Damit erheben sie die neue Materialklasse zum Hoffnungsträger der Computertechnologie.
Topologische Isolatoren sind eine neue, vor wenigen Jahren entdeckte Materialklasse. Ihre herausragende Eigenschaft besteht darin, im Inneren elektrisch isolierend zu sein, an der Oberfläche bilden sie jedoch leitende Zustände aus. Das Besondere an topologischen Isolatoren ist die extreme Stabilität ihrer Oberflächenzustände. Wissenschaftler vom Helmholtz-Zentrum Berlin (HZB) haben nun in Bismutselenid, dem derzeit bekanntesten topologischen Isolator, den Oberflächenzustand auch noch nach Beschichten der Oberfläche mit Eisen beobachtet. Bisher gingen Wissenschaftler davon aus, dass die Stabilität an Kontaktstellen zu magnetischen Materialien verloren geht. Eine solche Grenzfläche aus topologischem Isolator und Ferromagnet ist für die Entwicklung neuer Speichermedien in der Computerindustrie von großem Interesse.
Die Erkenntnis hat Markus Scholz aus der Abteilung Magnetisierungs¬dynamik des HZB im Rahmen seiner Doktorarbeit gewonnen und jetzt im Fachjournal Physical Review Letters veröffentlicht (DOI: 10.1103/PhysRevLett.108.256810).
Topologische Isolatoren verdanken die Stabilität ihrer Oberflächenzustände einem grundlegenden physikalischen Prinzip, der Zeitumkehrsymmetrie. Danach gelten physikalische Gesetze in gleicher Weise, auch wenn die Zeit rückwärts laufen würde. Auf die Bewegung von Elektronen in einem Festkörper angewandt heißt das, dass die Naturgesetze zum Tragen kommen, egal ob sich ein Elektron von links nach rechts oder – nach Zeitumkehr – von rechts nach links bewegt. Dabei gilt: Wenn ein Elektron in eine bestimmte Richtung läuft, zum Beispiel nach links, muss ihm ein Zustand mit nach oben gerichtetem Spin zur Verfügung stehen. Ein entgegengesetzt laufendes Elektron benötigt dann einen Zustand mit nach unten gerichtetem Spin.
In den topologischen Isolatoren ist diese Kopplung von Bewegungsrichtung und Spin so stark, dass die Elektronen an der Oberfläche stets gezwungen sind, zur Leitung von elektrischem Strom zur Verfügung zu stehen. Die leitfähigen Oberflächenzustände sind dadurch geschützt.
Anders verhält es sich in ferromagnetischen Materialien: Dort ist die Spinrichtung durch magnetischen Nord- und Südpol festgelegt. Die Zeitumkehrsymmetrie ist hier gebrochen. Bringt man beide Materialien – Ferromagneten und topologischen Isolator – in Kontakt, so sollte sich die Symmetriebrechung des Ferromagneten auf den topologischen Isolator übertragen. Er müsste, so die bisherige Annahme, auch an seiner Oberfläche isolierend werden. Das HZB-Team um Markus Scholz hat jetzt das Gegenteil nachgewiesen.
„Nach der Entdeckung der topologischen Isolatoren herrschte zunächst große Euphorie“, sagt Markus Scholz: „Die Materialklasse war der große Hoffnungsträger in der Computertechnologie. Dann setzte sich die Annahme durch, dass ein topologisch geschützter Zustand – wie der Oberflächenzustand von Bismutselenid – extrem empfindlich auf magnetische Materialien reagieren soll – und das war eine große Enttäuschung.“ Denn für Anwendungen in Computerbauteilen, wie neuen Speichermedien, ist es von enormer Bedeutung, dass der Oberflächenzustand auch in unmittelbarer Nähe eines magnetischen Materials stabil bleibt.
Scholz hat nun die Ehre der neuen Materialien gerettet: Dafür stellte der Wissenschaftler zunächst frische, saubere Bruchkanten des Kristalls Bismutselenid her – mit Hilfe von Klebeband, wie Scholz beschreibt: „Bismutselenid ist aus struktureller Sicht eher zweidimensional. Das heißt, auf fünf Atomlagen, die sehr kräftig gebunden sind, folgt eine mit schwacher Bindung. Dort reißt der Kristall beim Abziehen des Klebebands ab.“ Die frische Bruchkante hat das Team dann hauchdünn mit Eisen überzogen. Scholz: „So etwas ganz sauber und nach höchsten Standards zu machen, damit hat unsere Arbeitsgruppe sehr große Erfahrung.“
Anschließend untersuchten die Wissenschaftler die beschichtete Kristalloberfläche mit einer extrem oberflächenempfindlichen Messmethode, der winkelaufgelösten Photoemissionsspektroskopie (ARPES). „Damit können wir zwar nur ein bis zwei Atomlagen tief in die Probe schauen – sehen aber extrem genau, was dort gerade passiert“, so Dr. Jaime Sánchez-Barriga, Koautor der Studie. Das Ergebnis: Bismutselenid zeigt seine topologischen Oberflächenzustände auch nach der Beschichtung mit Eisen. „Damit sind neue Forschungsanstrengungen gerechtfertigt, Bismutselenid für Anwendungen in der Computerforschung weiter zu entwickeln“, sagt Sánchez-Barriga: „Denkbar sind beispielsweise magnetische Transistoren.“
Die HZB-Forscher werden Gelegenheit haben, diese Forschung weiter voranzutreiben. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat gerade bekannt gegeben, dass sie ein Schwerpunktprogramm zu topologischen Isolatoren einrichten wird, in dem ungefähr fünfundzwanzig bis dreißig Forschergruppen gefördert werden sollen. Koordiniert wird dieses Programm von Dr. Oliver Rader, der auch die Doktorarbeit von Markus Scholz betreut hat.
Hintergrund:
Topologische Isolatoren wurden im Jahr 2005 postuliert und werden inzwischen in vielen Experimenten beobachtet. In der Mathematik beschäftigt sich die Topologie mit Größen, die unter kontinuierlicher Veränderung konstant bleiben. Ein Beispiel ist ein Knoten, den man an einem Seil verschieben, aber nicht lösen kann, zumindest sofern die Enden fest sind. Seile mit und ohne Knoten bezeichnet man dann als topologisch verschieden. Auch Elektronen können in bestimmten Fällen solche topologischen Eigenschaften haben. Die 2005 entdeckte feste Kopplung von Spin und Bewegungsrichtung ist ein Beispiel für eine solche Verknotung. Ob ein magnetisches Material in der Lage ist, diese Verknotung zu lösen, das ist Gegenstand der
aktuellen Untersuchung.