"Wir befinden uns gerade in einer entscheidenden Phase für die Photovoltaik"
Der HZB-Forscher Rutger Schlatmann ist zum neuen Vorsitzenden der Plattform ETIP-PV gewählt worden, in der Vertreter*innen aus Wissenschaft, Industrie und Politik aus ganz Europa organisiert sind. Ein Gespräch über den aktuellen Boom – und darüber, warum in Sachen Photovoltaik der Zug für die EU noch nicht abgefahren ist.
Herr Schlatmann, als Sie sich vor einigen Jahrzehnten auf die Photovoltaik spezialisiert haben, war das ein Nischenthema. Ahnten Sie da schon, dass es einmal zu dem Boom kommen wird, den wir heute erleben?
Rutger Schlatmann (lacht): Solche hellseherischen Fähigkeiten hätte ich tatsächlich gern! Es gab einige Indizien; so ist die Photovoltaik über die vergangenen 20 Jahre kontinuierlich gewachsen und es wurde zugleich immer deutlicher, wie wichtig es ist, die Klimakrise abzuwenden. Deshalb war ich zuversichtlich, dass der Markt in Europa weiter anziehen würde. Aber dass zwei so tiefe Zäsuren kommen würden wie die Corona Pandemie und der Ukraine-Krieg habe ich nicht kommen sehen.
Die Globalisierung wurde lange glorifiziert. Jetzt sieht man auf einmal, dass wir in Europa nicht einmal so einen vermeintlich banalen Gegenstand wie eine Gesichtsmaske herstellen können, ohne dass die Lieferketten dafür bis nach Fernost reichen. In umso stärkerem Maße gilt das natürlich für komplexe Produkte wie etwa Medikamente, HalbleiterChips, aber eben auch Solarzellen.
Das ist der Blick von geostrategischer Seite. Wo steht die Photovoltaik heute aus technischer Sicht?
Als ich mit der Forschung angefangen habe, hat kaum jemand diesen Bereich ernst genommen. Und jetzt, seit einigen Jahren, hat Solarstrom die niedrigsten Herstellungskosten – er ist preiswerter als Strom aus Öl oder Gas und natürlich erst recht billiger als Atomenergie. Und das, obwohl es immer noch ein enormes Potenzial für weitere technologische Entwicklung gibt. Wir befinden uns gerade in einer entscheidenden Phase für die Photovoltaik, und die gute Nachricht ist: Die Forschungslandschaft in Europa und speziell in Deutschland ist viel stärker und größer, als man es anhand der industriellen Kapazitäten erwarten würde, die es auf diesem Gebiet hierzulande noch gibt.
In China sitzt aber auch leistungsstarke Photovoltaik-Forschung, oder?
Auf jeden Fall, man sollte das weder von der Quantität noch von der Qualität unterschätzen. Wir haben aber bei bestimmten Technologien die Nase vorn, die im Moment sehr angesagt sind, weil Deutschland da in den vergangenen zehn Jahren viele Forschungsgelder investiert hat. Denken Sie nur an die Perowskit-Tandemsolarzellen, die mit zwei übereinanderliegenden Schichten arbeiten: einer Silizium-Schicht und einer Perowskit-Schicht, die beide unterschiedliche Farbanteile des Sonnenlichts in Energie umwandeln und deshalb einen deutlich höheren Wirkungsgrad haben als herkömmliche Solarzellen. Da sind unheimliche Fortschritte gelungen beim Wirkungsgrad, aber auch bei der Stabilität. Allein am HZB haben wir ja mehrere Gruppen dafür etabliert und neue Talente geholt. Das wird übrigens nicht nur in der Forschung wahrgenommen, sondern auch in der Industrie.
Ich habe vor allem tiefere Einblicke in die regulatorischen und politischen Rahmenbedingungen bekommen. Auf dem Feld ist unheimlich viel in Bewegung geraten. Das dominante Thema ist natürlich der »Inflation Reduction Act« aus den USA, dieses enorme Programm, mit dem die Ansiedlung von Produktionskapazitäten unterstützt wird. Die Investitionsmöglichkeiten sind dermaßen attraktiv, dass ich im Moment bei Gesprächen mit Unternehmen häufig höre, dass sie eigentlich in Europa investieren wollten, aber die Unterschiede so groß seien, dass es sich lohne, doch lieber in die USA zu gehen und von dort die Ware nach Europa zu verschiffen.
Kann man in Europa nicht die Phase der traditionellen Silizium-Solarzellen quasi überspringen und gleich eine Produktion für die Tandem-Technologie aufbauen?
Nein, aus zweierlei Gründen würde das nicht funktionieren. Erstens ist der Zug für die Silizium-Zellen noch nicht abgefahren, im Gegenteil. Und zweitens müssen wir in Europa erst wieder die gesamte Wertschöpfungskette aufbauen – und das können wir gut bei der Silizium-Technologie machen. Die Solarfirmen benötigen zum Beispiel ein extrem transparentes Glas. Die Firmen, die so etwas herstellen können, gibt es in Europa, aber sie haben diese Sparten längst wieder geschlossen, weil es keine Nachfrage gab. Das gleiche gilt für etliche andere Komponenten, die für die Produktion von PV-Modulen nötig sind. Zum Glück ist das Knowhow dafür noch vorhanden – aber die Herstellung muss eben erst wieder hochgefahren werden.
Werden denn die Weichen dafür auch tatsächlich gestellt?
Mich verblüfft es immer wieder, wie die Politik in der EU läuft – wie manche Länder zum Beispiel einen sinnvollen Gesetzentwurf blockieren, um für sich selbst bei den Verhandlungen mehr rauszuholen. Aber ich glaube, dass sowohl der Europäischen Kommission als auch den nationalen Regierungen klar ist, wie groß der Handlungsdruck ist. Und es gibt ja auch Lichtblicke: Bei der Batterieherstellung etwa ist es ja gelungen, ein Investitionsklima zu schaffen, mit dem Europa wieder für eine Branche attraktiv wurde, die eigentlich schon abgewandert war.
Sind Sie mit Blick auf die PV-Industrie optimistischer oder pessimistischer geworden, seit Sie in Ihrem neuen Amt hinter viele Kulissen blicken können?
Ganz eindeutig: Ich bin optimistischer geworden.
Dieses Interview erschien in der lichtblick, das HZB-Magazin.