Rückbau Forschungsreaktor BER II
Häufig gestellte Fragen zur Sicherheit des Forschungsreaktors BER II
(letzte Überarbeitung 2020)
1. Wofür brauchte man in Berlin einen Forschungsreaktor?
Der Forschungsreaktor BER II lieferte Neutronen für wissenschaftliche Untersuchungen. Neutronen sind ungeladene Teilchen – Bausteine der Atomkerne - die sehr gut für Materialuntersuchungen geeignet sind. Man kann Neutronen wie einen Lichtstrahl bündeln und damit verschiedene Proben untersuchen. Eine Neutronenquelle ist wie ein großes Mikroskop, mit dem Forscher innere Eigenschaften von Materialien untersuchen können. Wissenschaftler vieler Disziplinen, etwa Biologen, Chemiker, Physiker, Medizinphysiker, Materialwissenschaftler und sogar Kunsthistoriker nutzten unseren Forschungsreaktor BER II für ihre Fragestellungen. Der Forschungsreaktor diente nicht der Entwicklung oder Erprobung von Kernenergie-Technik.
Die Forschung mit Neutronen lieferte Erkenntnisse, die Wissenschaftler oft mit Hilfe von anderen Forschungsmethoden nicht erzielen konnten. Viele technische Innovationen beruhten auf der Grundlagenforschung mit Neutronen, die unter anderem am Berliner Forschungsreaktor seit Jahrzehnten mit teilweise weltweit einzigartigen Experimentierbedingungen betrieben wurde.
Das HZB hatte jedoch im Rahmen eines Strategieprozesses sein wissenschaftliches Profil verändert und entsprach dem Beschluss des Aufsichtsrates, die Neutronenquelle BER II Ende 2019 abzuschalten. Für unsere Nutzerinnen und Nutzer liegt der Fokus jetzt auf dem Betrieb und der Weiterentwicklung der Photonenquelle BESSY II.
2. Was unterschied den Forschungsreaktor BER II des Helmholtz-Zentrum Berlin von einem Kernkraftwerk?
Unser Forschungsreaktor BER II in Berlin-Wannsee war mit einem Kernkraftwerk nicht vergleichbar. Er diente nicht dazu, Wärme und Strom zu produzieren. Wir verwendeten die bei der Kernspaltung entstehenden Neutronen für die Forschung. Neutronen sind kleine, elektrisch neutrale Teilchen (siehe 1.).
Aufgrund des unterschiedlichen Zwecks ist auch die Bauweise unterschiedlich. Der Forschungsreaktor arbeitete bei niedriger Temperatur und bei Normaldruck. Das ist ein entscheidender Unterschied zu Kernkraftwerken, in denen bei hoher Temperatur und hohem Druck Dampf für die Stromerzeugung produziert wird. Im Gegensatz zu Kernkraftwerken besaß der BER II daher keinen Reaktordruckbehälter, und die entstehende Wärme wurde über Wärmetauscher und Kühltürme abgeführt. Zum Vergleich: Die Leistung des BER II betrug 10 Megawatt. Die thermische Leistung eines durchschnittlichen Kernkraftwerks beträgt 3.000 bis 4.000 Megawatt.
3. Welche Brennelemente wurden im Forschungsreaktor BER II eingesetzt?
Der BERII arbeitete mit sogenanntem LEU, das ist niedrig angereichertes Uran. Der Anteil des Isotops 235 beträgt weniger als 20%.
4. Welche Sicherheitsmechanismen gab es, um den Betrieb des Forschungsreaktors zu überwachen und ggf. die Kernspaltung zu stoppen?
Der Forschungsreaktor hatte automatische Abschaltsysteme, die bei allen Abweichungen von normalen Betriebszuständen eingegriffen hätten. Dies betraf zum Beispiel den Ausfall von Mess- und Regeleinrichtungen. Hier hätten sofort andere Systeme eingegriffen oder der Reaktor wäre abgeschaltet worden. Mit den Kontrollstäben, die bei Bedarf in den Reaktorkern fallen, kann die Kettenreaktion der Kernspaltung unmittelbar unterbunden werden (siehe auch Frage 6).
5. Wie war das Kühlsystem am BER II aufgebaut?
Der Forschungsreaktor war ein so genannter „Schwimmbadreaktor“: In einem offenen Wasserbecken hing der Kern des Reaktors. Er enthielt zirka 7 Kilogramm spaltbares Uran 235, das für die Kernspaltung erforderlich war. Jährlich verbrauchte der Forschungsreaktor 2,5 Kilogramm dieses Urans. Zum Vergleich: Kernkraftwerke verbrauchen pro Jahr etwa 1,5 Tonnen spaltbares Uran. Das Wasser um den Reaktorkern hatte drei Funktionen. Es verlangsamte die bei der Kernspaltung entstehenden Neutronen, die die Kettenreaktion aufrechthielten (es ist „Moderator“), diente der Kühlung und zur Strahlenabschirmung.
Diese Bauweise hatte einen entscheidenden Vorteil: Da kein Druckbehälter vorhanden war, herrschte im gesamten Becken Normaldruck. Die bei Kernkraftwerken üblichen hohen Temperaturen und großen Drücke traten nicht auf. Das Wasser im Becken erwärmte sich im Betrieb auf rund 40° Celsius. Die Wärme wurde über Wärmetauscher abgegeben und im Kreislauf gepumpt. Kein Wasser gelangte nach außen.
6. Was passierte, wenn die Kühlung ausfiel?
Bei einem Ausfall der Stromversorgung wären sofort Kontrollstäbe, die an Elektromagneten hingen, allein durch ihr Gewicht in den Reaktorkern gefallen und hätten damit den Reaktor außer Betrieb gesetzt. Nach Stillstand der Kernspaltung hätte nur eine Minute zur aktiven Nachkühlung genügt. Diese Minute wäre durch den Nachlauf der Pumpen gewährleistet worden, die zudem mit Batterien abgesichert war. Nach dieser einen Minute aktiver Kühlung hätte die natürliche Konvektion des Wassers (Bewegung der Wasserteilchen aufgrund des Temperaturunterschieds) ausgereicht, um die Nachwärme sicher abzuführen. Das heißt, es wären keine Pumpen zur Abfuhr der Nachwärme nötig. Für den Fall eines Stromausfalls standen trotzdem zwei Notstromdiesel zur Verfügung.
7. Wie wurde der Forschungsreaktor BER II sicherheitstechnisch überprüft?
Die Aufsichtsbehörde, die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt, prüfte regelmäßig die Sicherheit des Forschungsreaktors und bediente sich dabei unabhängiger Sachverständiger. Außerdem überprüften jährlich Mitarbeiter der Europäischen Atomgemeinschaft (EURATOM) und der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) den Bestand an Kernbrennstoffen. Der Betrieb der Anlage unterlag strengsten Sicherheitsauflagen.
8. Wo befanden sich die abgebrannten Brennelemente des BER II und wie wurden sie entsorgt?
Es fielen deutlich weniger abgebrannte Brennelemente an als in einem Kernkraftwerk. Diese verblieben bis zum Abtransport in einem Abklingbecken, wo ihre Leistung auf unter 40 Watt sank. Erst dann wurden sie entsorgt. Der Abtransport verbrauchter Brennelemente erfolgte etwa alle zwei bis drei Jahre in dickwandigen Spezialbehältern. Bis Mai 2016 war die Rückführung in die USA vertraglich geregelt. Für die danach bis zum Betriebsende (Ende 2019) anfallenden Brennelemente wurde die Zwischenlagerung in Ahaus vertraglich vereinbart.
9. Welche Maßnahmen ergriff und ergreift auch heute der Betreiber gegen terroristische Übergriffe?
Das gesamte HZB-Gelände wird ununterbrochen von einem Sicherheitsdienst bewacht. Ein unbefugtes Betreten des Campus, das unbemerkt bleibt, ist ausgeschlossen. Der Reaktor selbst und sein Umfeld werden zusätzlich und unabhängig von bewaffneten Sicherheitsmitarbeitern bewacht, die nach einschlägigen Vorschriften geschult und überprüft werden. Hier gilt schärfste Überwachung und Kontrolle des Zutritts.
10. Welchen Schutz bot das Reaktorgebäude?
Der Forschungsreaktor wurde nach den gültigen Sicherheitsbestimmungen gebaut. Diese sahen kein zusätzliches Gebäude-Containment vor. Das Gebäudedach war eine ausgemauerte Stahlskelettkonstruktion, die innen mit Stahlplatten gasdicht ausgekleidet wurde. Die Halle gewährleistete eine Abschließung von allen im Betrieb anfallenden Stoffen. In der Halle herrschte leichter Unterdruck, damit im Falle eines Risses die Luft nicht von innen nach außen strömen konnte, sondern umgekehrt von außen nach innen. Das Reaktorbecken, das sich in der Halle befand, war seitlich von einer zwei Meter dicken Betonschicht eingeschlossen.
11. Welche Gefahr bestand, wenn der Forschungsreaktor unter der Flugroute des Flughafens Berlin Brandenburg liegt?
Vom neuen Flughafen Berlin Brandenburg (BER) „Willy Brandt“ startende Flugzeuge, die in der Nähe des BER II über Wannsee fliegen würden, hätten hier bereits eine Höhe von zirka 1,5 bis 2 Kilometern erreicht. Wie über jeder kerntechnischen Anlage in Deutschland bestand über dem BER II ein eingeschränktes Flugverbot bis zu zirka 700 Metern in der Höhe. Das eingeschränkte Flugverbot wurde und damit eingehalten.
12. Wie wurde der Forschungsreaktor betrieben?
Der Forschungsreaktor arbeitete im üblichen Betriebsmodus: 3 Wochen Experimentierbetrieb im Wechsel mit einer Woche Wartungsarbeiten. Alle Maßnahmen am BER II erfolgten in enger Abstimmung und nach Genehmigung durch die zuständigen Behörden, die dafür Gutachten unabhängiger Experten einholten.
13. Warum gab es Umbaumaßnahmen am BER II?
Die von Oktober 2010 bis März 2012 erfolgten Umbaumaßnahmen wurden viele Jahre im Voraus geplant und standen nicht in Zusammenhang mit der in den Medien diskutierten Sicherheitsüberprüfung (Stresstest). Einige Komponenten und Bauteile wurden routinemäßig ausgetauscht. Dies war notwendig, sobald eine bestimmte Menge Neutronen durch sie hindurchgeflossen sind. Die Wissenschaftler des HZB hatten die Umbauzeit außerdem genutzt, um die wissenschaftlichen Instrumente zu verbessern und die Neutronenleiter so zu erneuern, dass an den Instrumenten bis zu fünfmal mehr Neutronen ankommen. Für die Wissenschaft war dies eine enorme Verbesserung, die den BER II international konkurrenzfähig hielt. Mit den neuen Experimentierplätzen wurde die Attraktivität des Berliner Wissenschaftsstandortes weltweit weiter gestärkt.
Im Jahr 2014 gab es noch einmal eine längere Betriebspause, während der eine Dichtungsschweißnaht entfernt wurde, die sich im Bereich der Trennwand zwischen den beiden Reaktorbeckenhälften befand. In dieser Schweißnaht wurden 2010 Schadstellen entdeckt, die seither sorgfältig beobachtet wurden. Es handelte sich um kein sicherheitsrelevantes Bauteil, trotzdem wurde 2013 beschlossen, die Schweißnaht ersatzlos zu entfernen.
Während dieser Betriebspause wurde außerdem der neue Hochfeldmagnet endmontiert und an seiner endgültigen Betriebsposition in der Neutronenleiterhalle aufgebaut. Der Hochfeldmagnet erzeugte ein 26 Tesla starkes Magnetfeld, was im Zusammenhang mit Neutronenforschung weltweit einmalig war. Nur in Berlin konnten Proben unter Einwirkung eines so hohen Magnetfeldes mit Neutronen bestrahlt werden. Der Hochfeldmagnet wurde am 7. Mai 2015 eingeweiht und der Wissenschaftscommunity übergeben.
14. Was bedeutete der 2011 durchgeführte „Stresstest“ für den BER II?
Auch für den BER II wurde 2011 ein so genannter Stresstest durchgeführt. Gemeint sind damit Analysen, wie sich ein Reaktor bei bestimmten Szenarien – etwa Stromausfall, Überschwemmung, Erdbeben – verhält. Solche Szenarien wurden für den Forschungsreaktor BER II betrachtet. Anschließend erfolgte eine Bewertung durch die zuständigen Behörden. In dieser haben die Gutachter der Anlage einen hohen Grad an Robustheit beschieden. Der BER II hatte den vom Senat koordinierten Stresstest erfolgreich bestanden.
15. Warum gab es einen Katastrophenschutzplan für den BER II?
Beim Betrieb des Forschungsreaktors entstanden unvermeidbar radioaktive Stoffe. Wir haben durch eine Vielzahl von Maßnahmen sichergestellt, dass diese in jeder Betriebsphase des Forschungsreaktors sicher eingeschlossen blieben. Dennoch haben die Berliner und Brandenburger Behörden einen detaillierten Katastrophenschutzplan erstellt, um auch in einem äußerst hypothetischen, nur durch extreme Einwirkung von außen möglichen Schadensfall schnell, effektiv und zielgerichtet handeln zu können. Der Katastrophenschutzplan regelte die Aufgaben für alle beteiligten Behörden und Einrichtungen für den Fall, dass eine Freisetzung von radioaktiven Stoffen in die Umgebung befürchtet wird. Das HZB verteilte alle fünf Jahre eine Broschüre, in der die Bevölkerung in der Umgebung des Forschungsreaktors über den Katastrophenschutzplan informiert wurde. Dies war eine Vorschrift, die aus § 53 der Strahlenschutzverordnung folgte. Die letzte Verteilung der Informationsbroschüre erfolgte Ende 2014.
16. Warum befindet sich die Zentrale Landesammelstellestelle für radioaktive Abfälle auf dem HZB-Gelände in Wannsee?
Jedes Bundesland ist nach den Forderungen des Atomgesetzes verpflichtet, eine Landessammelstelle einzurichten, um die in seinem Gebiet angefallenen radioaktiven Abfälle ordnungsgemäß aufzubereiten und zwischenzulagern. Das Land Berlin hat dem Helmholtz-Zentrum Berlin den Auftrag zum Betrieb der Landessammelstelle für radioaktive Abfälle (ZRA) übertragen. In der ZRA lagern schwach- und mittelradioaktive Stoffe, die vor allem in der Medizin, der Industrie und der Forschung und Lehre anfallen. In der ZRA lagern keine Brennelemente aus dem Forschungsreaktor (siehe Frage 8).
17. Konnte man den Forschungsreaktor besichtigen?
Um einen sicheren Betrieb gewährleisten zu können, mussten die Bedienmannschaften konzentriert und ungestört arbeiten können. Der Forschungsreaktor BER II konnte deshalb nur nach Voranmeldung besichtigt werden. Personen, denen eine Besichtigung ermöglicht wurde, mussten sich einer Sicherheitsüberprüfung durch die zuständigen Stellen unterziehen.
Allerdings: Am jährlich stattfindenden Tag der Offenen Tür und während der Langen Nacht der Wissenschaften ermöglichten wir es interessierten Besuchern, an Führungen durch die Experimentierhallen um den Forschungsreaktor teilzunehmen. Unsere Wissenschaftler und Reaktor-Experten standen Ihnen an diesem Tag für Fragen über die Anlage und die Sicherheitsvorkehrungen gern zur Verfügung.
18. Wie lange wurde der Forschungsreaktor betrieben?
Der Aufsichtsrat des HZB hat beschlossen, den Betrieb des BER II und die Forschung mit Neutronen zum 31.12.2019 einzustellen. Das Helmholtz-Zentrum Berlin hatte in den vergangenen Jahren sein wissenschaftliches Profil geschärft und neu ausgerichtet: Der Schwerpunkt unserer Forschung liegt auf Energiematerialien– mit Fokus auf Dünnschichttechnologien. Damit verbunden ist der Betrieb und die Weiterentwicklung der Photonenquelle BESSY II in Berlin-Adlershof und der Aufbau neuer zentraler Labore für die Analytik und Synthese von Energiematerialien am Standort Wannsee. Die Ziele aus dem Strategieprozess HZB 2020+ sind bereits heute Leitlinien unserer Forschung – und reichen bis weit nach 2020 hinaus.