Gemäldeforschung
Vom Nutzen der Autoradiographie
Die Neutronenautoradiographie ist besonders aufschlussreich, weil man den Aufbau und die Struktur von mehreren Farbschichten gleichzeitig sehen kann. Die autoradiographischen Ergebnisse können unmittelbar Einfluss darauf nehmen, wie ein Objekt kunsthistorisch einzuordnen ist. Die Methode kann zum Beispiel helfen, ein Gemälde einer bestimmten Zeit oder einer Stilrichtung zuzuordnen. Außerdem hilft die Untersuchung, material- oder maltechnische Fragen zu beantworten. Damit bietet sie zahlreiche Ansatzpunkte und Interpretationsmöglichkeiten, die für die Kunstgeschichte und die Kunsttechnologie zu grundlegenden Erkenntnissen führen.
Beispiele:
Nicolas Poussin
"Armida entführt den eingeschläferten Rinaldo", um 1637, 120 x 150 cm, Gemäldegalerie Berlin, SMB (Foto: Jörg P. Anders)
Das Werk Armida entführt den eingeschläferten Rinaldo galt lange als eine von mehreren Kopien eines heute verschollenen Originals. Mit Hilfe der Autoradiographien konnte jedoch sichtbar gemacht werden, dass der Maler hier während des Schaffensprozesses sein Konzept geändert und Korrekturen eingearbeitet hat, die von der ursprünglichen Bildanlage abweichen. Derartige Pentimenti finden sich gewöhnlich allein auf Originalen. Sie zeugen von einer kreativen Bildentwicklung, die Kopien nicht eigen sind. Aufgrund dieser Feststellung ist es gerechtfertigt, das Gemälde heute als ein Werk Poussins anzuerkennen.
Georges de La Tour (1593-1652)
"Die Auffindung des Hl. Sebastian", um 1649
Der Film zeigt eine Röntgenaufnahme mit dem dominant sichtbaren Holz des Keilrahmens. Die drei Autoradiographien dagegen lassen die Arbeitstechnik des Künstlers deutlich erkennen. Die Verwendung von Schablonen und Aussparungen wie für den Schatten des Pfeils sind für LaTour nicht ungewöhnlich. Auch eine Wiederholung der Umrisslinien in geringem Abstand zur Kontur sprechen für die Einordnung des Bildes als Original des Künstlers. Ritzungen und Vorzeichnungslinien in rotem Farblack, wie sie mit dem Mikroskop zu beobachten sind, wurden auch in anderen Gemälden LaTours festgestellt. Diese Hinweise auf die Arbeitstechnik lassen in diesem Fall die Einordnung des Bildes als Original des Künstlers Georges de La Tour zu.
Die Autoradiographien zeigen:
Konturierung und Verwendung von Schablonen,
typische Aussparungen auch unter schmalen Schattenpartien
Tiziano Vecellio, gen. Tizian (1488/90-1576)
"Mädchen mit der Fruchtschale", um 1555
Der Film zeigt vielfältige Untermalungen und ungewöhnliche Pigmente.
Die Röntgenaufnahme zeigt eine tiefer liegende abweichende Komposition mit großer Figur. Die Autoradiographien zeigen das detaillierte Muster des Kleides des Mädchens mit Fruchtschale und eine weibliche Figur, die auf einem Stuhl sitzt, in einer vergleichbaren Körperhaltung wie in Titians Porträt der Herzogin von Urbino (Florenz) *. Die 2. Autoradiographie, und die Auswertung der Gammastrahlung Pb2Sb2O6 offenbart die Verwendung von "Neapelgelb“. Die Verwendung von „Neapelgelb“ zu dieser Zeit gilt als ungewöhnlich.
*Im Film verwendetes Vergleichsbild: Tiziano Vecellio, gen. Tizian, Porträt der Herzogin von Urbino, Palazzo Pitti, Florenz Copyright: Polo Museale Fiorentino | Soprintendenza Speciale per il Patrimonio Storico, Artistico ed Etnoantropologico e per il Polo Museale della città di Firenze