Sauerstoff: Sprunghaftes Verhalten

Dr. Justine Schlappa

Dr. Justine Schlappa

HZB an Forschungen zur Quantenschwebung beteiligt, die das Verständnis vom Entstehen und Brechen chemischer Bindungen erweitert.

Das Brechen der Bindung zwischen zwei Atomen ist ein elementarer Schritt in einer chemischen Reaktion. Dabei trennen sich die Atome bis sie keine Wechselwirkung mehr spüren. Kommt eins der Atome in die Nähe eines weiteren Atoms, kann es von diesem eingefangen werden, so dass eine neue chemische Bindung entsteht. Die bisherige Vorstellung von diesem Prozess: Die Bewegung der Atome verläuft stetig; beim Brechen einer Bindung vergrößert sich der Atomabstand kontinuierlich, beim Entstehen einer neuen Bindung verkleinert er sich ebenso kontinuierlich.

Ein internationales Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern hat unter Beteiligung von Professor Dr. Alexander Föhlisch und Dr. Justine Schlappa vom Institut „Methoden und Instrumentierung der Synchrotronstrahlung“ am Helmholtz-Zentrum Berlin für Materialien und Energie (HZB) gezeigt, dass diese Ansicht korrigiert werden muss: Brechen beispielsweise Sauerstoffmoleküle auseinander, bewegen sich die Atome nicht kontinuierlich auseinander.

Für diese Entdeckung beleuchteten die Wissenschaftler gasförmigen Sauerstoff mit so genanntem Synchrotronlicht. Das Licht führte zu einer Anregung der Sauerstoffmoleküle – die chemische Bindung zwischen den beiden Sauerstoffatomen des Moleküls bricht vorübergehend. Das von den Molekülen zurückgestreute Licht haben die Forscher gemessen und erhielten so Informationen über den Abstand der Sauerstoffatome zu einem bestimmten Zeitpunkt. Die Energie des eingestrahlten Lichts wählten die Experimentatoren so, dass der Zerfallsprozess auf zwei gleichwertige Arten ablaufen kann. Beide Wege unterscheiden sich nur darin, dass die sich trennenden Atome unterschiedliche Geschwindigkeiten aufweisen.

Die Messergebnisse zeigen, dass es für die tatsächlich gemessenen Abstände zwischen den Sauerstoffatomen nicht beliebige, sondern präferenzielle Werte gibt: Es gibt also Distanzen, wo sich die Sauerstoffatome häufig aufhalten. Zur Erklärung dieses Phänomens zieht die HZB-Wissenschaftlerin Dr. Justine Schlappa den Vergleich mit einer leicht verstimmten Gitarre heran: „Zupft ein Musiker auf den Saiten zwei Töne, deren Frequenzen etwas zueinander verschoben sind, hört er ein periodisches Lauter- und Leiserwerden. Akustiker nennen dieses An- und Abschwellen des Tones Schwebung. Sie verschwindet, wenn das Instrument sauber gestimmt ist und die Frequenzen der Töne exakt aufeinander abgestimmt sind.“

Ursache für die Schwebung ist der Wellencharakter des Schalls. „Wenn sich die Wellen zweier Töne leicht gegeneinander verschieben, kommt es zur Interferenz“, so Schlappa: „Gleichzeitig auftretende Wellenberge verstärken sich, und der Ton wirkt lauter. Treffen hingegen Wellentäler auf Wellenberge, löschen sie sich gegenseitig aus – der Ton wird leiser.“ Genauso wie den Schall betrachten die Physiker nun auch die sich trennenden Sauerstoffatome als Wellen. Justine Schlappa: „Die beiden möglichen Geschwindigkeiten, mit denen sich die Sauerstoffatome trennen, führen zu leicht verschobenen Frequenzen der Sauerstoff-Wellen und verursachen die so genannte Quantenschwebung.“ Auch hier verstärken sich Wellenberge und es kommt zu Stellen im Raum wo Atome vorzugsweise gefunden werden. Wellenberge und Wellentäler heben sich gegenseitig auf mit dem Resultat, dass es Orte gibt, an denen sich keine Atome aufhalten.

„Unsere Beobachtung hat gravierende Konsequenzen für das Verständnis chemischer Reaktionen“, sagt Professor Dr. Alexander Föhlisch, Leiter des HZB-Instituts „Methoden und Instrumentierung der Synchrotronstrahlung“: „Kann kein Atom nachgewiesen werden, können bei diesem Abstand keine weitere chemische Schritte stattfinden“, so Föhlisch weiter: „Dies ist eine gravierende Einschränkung für den Ablauf von chemischen Reaktionen und zwingt uns dazu, im Grundsatz unser Verständnis von chemischen Prozessen zu überdenken.“

A. Pietzsch et al., Spatial Quantum Beats in Vibrational Resonant Inelastic Soft X-ray Scattering at Dissociating States of Oxygen, Phas.; Rev. Lett. 153004 (2011). DOI: 10.1103/PhysRevLett.106.153004

Und:

Y-P Sun et al., Internal Symmetry and Selection Rules in Resonant Inelastic Soft X-ray Scattering", J. Phys. B: At. Mol. Opt. Phys. 44 161002 (2001).

HS


Das könnte Sie auch interessieren

  • Einfachere Herstellung von anorganischen Perowskit-Solarzellen bringt Vorteile
    Science Highlight
    17.04.2024
    Einfachere Herstellung von anorganischen Perowskit-Solarzellen bringt Vorteile
    Anorganische Perowskit-Solarzellen aus CsPbI3 sind langzeitstabil und erreichen gute Wirkungsgrade. Ein Team um Prof. Antonio Abate hat nun an BESSY II Oberflächen und Grenzflächen von CsPbI3 -Schichten analysiert, die unter unterschiedlichen Bedingungen produziert wurden. Die Ergebnisse belegen, dass das Ausglühen in Umgebungsluft die optoelektronischen Eigenschaften des Halbleiterfilms nicht negativ beeinflusst, sondern sogar zu weniger Defekten führt. Dies könnte die Massenanfertigung von anorganischen Perowskit-Solarzellen weiter vereinfachen.
  • Spintronik: Ein neuer Weg zu wirbelnden Spin-Texturen bei Raumtemperatur
    Science Highlight
    16.04.2024
    Spintronik: Ein neuer Weg zu wirbelnden Spin-Texturen bei Raumtemperatur
    Ein Team am HZB hat an BESSY II eine neue, einfache Methode untersucht, mit der sich stabile radiale magnetische Wirbel in magnetischen Dünnschichten erzeugen lassen.
  • BESSY II: Wie das gepulste Laden die Lebensdauer von Batterien verlängert
    Science Highlight
    08.04.2024
    BESSY II: Wie das gepulste Laden die Lebensdauer von Batterien verlängert
    Ein verbessertes Ladeprotokoll könnte die Lebensdauer von Lithium-Ionen-Batterien deutlich verlängern. Das Laden mit hochfrequentem gepulstem Strom verringert Alterungseffekte. Dies zeigte ein internationales Team unter der Leitung von Philipp Adelhelm (HZB und Humboldt-Universität) in Zusammenarbeit mit der Technischen Universität Berlin und der Aalborg University in Dänemark. Besonders aufschlussreich waren Experimente an der Röntgenquelle BESSY II.